Full text: Um den Kaiser.

empfehle ich euch Gott, geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott 
und bittet um Hilfe für unser braves Heer!“ Heuchelei und 
Verstellung hätten in solcher Lage, unter der Wucht seiner Verant- 
wortlichkeit vor Gott, der Grundauffassung von seiner göttlichen 
Sendung ganz und gar widersprochen. Es war, in seiner Sprache 
ausgedrückt, echtes frommes, sich keiner Schuld bewußtes Gefühl 
und wurde so von Hoch und Niedrig im ganzen Volke verstanden1). 
Seine wirkliche Schuld am Kriege besteht darin, daß er mit 
seinen vielen prahlerisch-drohenden Kundgebungen von unserer Zu- 
kunft auf dem Wasser, dem Dreizack in unserer Faust, von der 
japanischen Gottesgeißel, vom deutschen Arm, der bis in die ent- 
ferntesten Teile der Erde langt, usw., desgleichen mit unbedachten 
Worten in Privatgesprächen unsere Gegner glauben gemacht hat, er 
sinne auf Eroberungen und wolle den Krieg. Diese Schuld am 
Kriege besteht aber nur gegenüber seinem eigenen Volke. 
  
1) Die zweite Ansprache hatte eine Vorgeschichte. Am Vormittag des 1. August 
teilte mir Aug. Stein von der Frankfurter Zeitung mit, daß er zuverlässig erfahren 
habe, eine Minderheit in der sozialdemokratischen Partei werde sich vielleicht im 
Reichstage bei Bewilligung der Kriegskredite von der Mehrheit trennen, die un- 
glücklichen Kaiserworte von den vaterlandslosen Gesellen, der Rotte, nicht würdig 
den Namen Deutsche zu tragen, wirkten noch immer fort und gefährdeten die not- 
wendige Einigkeit. Da ich wußte, daß der Kanzler mittags Vortrag beim Kaiser 
haben würde, ließ ich mich sogleich bei ihm melden. Beim Vortrag schlug ich vor, 
den Kaiser so schnell als möglich zu einer neuen Kundgebung zu veranlassen, die 
die früheren lodernden Beleidigungen gegen die sozialdemokratische Arbeiterpartei 
wieder auslösche, etwa in der Form, daß es jetzt für ihn keinen Unterschied der 
Parteien mehr gebe, und er sich jedem Deutschen in gleichem Maße verbunden 
fühle. Dem Kanzler v. Bethmann Hollweg war natürlich sofort klar, wieviel von 
der inneren Geschlossenheit des ganzen Volkes abhing, und es gelang ihm ohne 
Mühe, den Kaiser zu einem solchen Widerruf zu bestimmen. Allerdings fiel dieser 
in der noch am selben Nachmittag gesprochenen zweiten Balkonrede so aus, wie 
es seiner Auffassung vom Gottesgnadentum entsprach. Den Worten: wenn es 
zum Kriege komme, höre jede Partei auf, wir seien nur noch deutsche Bruder, 
fügte er hinzu: „In Friedenszeiten hat mich ja wohl die eine oder die andere 
Partei angegriffen, das verzeihe ich von ganzem Herzen.“ Erst nach Verlesung 
der Thronrede im Weißen Saale kam der Versöhnungsgedanke in einem frei 
gesprochenen Zusatz in der für seine Schlagkraft nötigen Kürze und Reinheit 
heraus: „Ich wiederhole, ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“. 
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