träten. So stand Wilhelm II. schon neun Jahre vor dem Welt-
kriege, gewiß nicht ohne eigene Schuld, aber bei genauer Würdigung
seines eigentümlichen Geistes doch mit Unrecht, in dem Ruf eines
verschlagenen Kriegsdrängers.
Die Besuche deutscher Bürgermeister und Journalisten im Som-
mer 1906 verliefen befriedigend. Wesentlichen Anteil an der freund-
lichen Aufnahme hatte der Herausgeber der Reviet of Reviews und
große Pazifist Mr. Stead. Allzu viel für die Zukunft durfte man
sich freilich nicht versprechen. Wichtiger war es, daß auf der Kur-
reise des Königs Eduard nach Böhmen eine Begegnung mit seinem
kaiserlichen Neffen nicht wieder unterblieb. Beide Herrscher waren
Gäste der Schloßherrin von Friedrichshof bei Cronberg, der jüng-
sten Schwester des Kaisers, Prinzessin Margarete von Hessen. In
Gegenwart des Staatssekretäro v. Tschirschly und des englischen Bot-
schafters in Berlin Lascelles wurden auch politische Gespräche ge-
führt, die Hauptsache war aber, daß in dem persönlichen Verhältnis
der beiden Herrscher die alten Trübungen geschwunden zu sein schie-
nen. Kurz nach der Begegnung bam der britische Kriegsminister
Lord Haldane nach Berlin, um auf Einladung des Kaisers der
Taufe des ersten Sohnes des Kronprinzenpaares beizuwohnen und
militärische Einrichtungen zu studieren.
Nach seiner Rückkehr erklärte er in einer Rede, die Beziehungen
zu Deutschland hätten sich gebessert. Um die in England noch immer
vorhandenen Besorgnisse wegen der von Deutschland gegen den
Hereroaufstand aufgebotenen Kriegsmacht zu beschwichtigen, ver-
wies er darauf, daß demnächst die Hälfte der Truppen zurückgezogen
werden würde.
Während somit von einer Entspannung an einer gefährlichen
Stelle der äußeren Lage gesprochen werden bonnte, bereitete sich im
Innern ein Konflikt mit dem Zentrum, der stärksten bürger-
lichen und seit dem Ende des neuen Kurses im Reichstag den Aus-
schlag gebenden Partei vor, der zur Auflösung des Reichstages, einer
schweren Niederlage der Sozialdemokratie und dem Erperiment
einer Mehrheitsbildung ohne das Zentrum führte.
Der Streit drehte sich zunächst um die Verwaltung der Schutz-
5