Full text: Um den Kaiser.

Acht Tage darauf brachte dieselbe Wochenschrift unter allerlei 
scharfen „Momentaufnahmen“ auch diese: „November 1906, Nacht, 
offenes Feld im Uckergebiet. Der Harfner: Hast du's gesehen? 
Der Süße: Schon Freitag. Der Harfner: Meinst du, daß noch 
mehr kommt? Der Süße: Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen; 
er scheint orientiert, und wenn er Briefe kennt, in denen vom Lieb- 
chen die Rede ist — Der Harfner: Undenkbar! Aber sie lassen'se 
überall abdrucken. Sie wollen uns mit Gewalt an den Hals. 
Der Süße: Eine Herenzunft! Vorbei! Vorbei! Der Harfner: 
Wenn nur Er nichts davon erfährt.“ 
Was war das? Der Harfner aus der Uckermark, der früher 
Troubadour hieß, war leicht zu erkennen, auch in der vorangegange- 
nen Kampfansage mit seinem wahren Namen genannt worden. 
Aber der „Süße"“, das „Liebchen“ und „Er“? Wer sollte das 
sein? In der Hofgesellschaft begann ein Gewispere und Geraune voll 
Angst und Schadenfreude, je nachdem, auch in der Diplomatie 
und unter hohen Offizieren in Berlin und Potsdam gab es 
neben des gleichen Makels Teilhaftigen genug unschuldig Wissende. 
In diesen Kreisen hatte man sogleich erkannt, daß unter dem 
Süßen nur der Stadtkommandant Generalleutnant Graf Moltke, 
der auch schon in dem Artikel „Präludium" als besonderer Freund 
Philis genannt war, und unter „Er“ der Kaiser gemeint sein 
konnte. In der Tagespresse wurde die sonderbare Nachbildung 
der unheimlichen Faustszene nachgedruckt, die Geschichte war pikant 
und versprach, noch pikanter zu werden. So kam die Sensation 
bald in weite Kreise. 
Nur einer erfuhr nichts davon, „Er“, den die Sache doch 
beinahe am meisten anging. Kein Kanzler, kein Chef des Zivil- 
kabinetts, keine Oberhofcharge wagte es, ihm anzudeuten, welcher 
Herensabbat am hellichten Tage vor der weitesten Offentlichkeit 
drohte. Niemand wollte das heiße Eisen anfassen, weil jeder wußte, 
wie schwer sich solche Sachen beweisen lassen, und darum sich 
scheute, vielleicht als falscher Angeber in Ungnade zu fallen, statt 
dem Kaiser und dem Lande einen großen Dienst zu erweisen. 
Für den Fürsten Bülow wäre die Aufgabe, den Kaiser auf die 
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