Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

  
110 W. Wygodzinski, Staat und Wirtschaft. 
So wichtig, ja unbedingt notwendig alle diese” Staatsmassnahmen allgemeiner Natur sind, 
sie schaffen doch nur erst den Rahmen, innerhalb dessen sich die tatsächlichen Vorgänge der Volks- 
wirtschaft abspielen. Aber auch in diese hinein greift jetzt der Staat unbedenklich mit starker Hand. 
Das Endziel der Wirtschaft ist der Gewinn. Das Streben nach Gewinn zu fördern hat der 
Staat tausend Mittel. Er kann den wirtschaftlichen Erfolg ehren, wie er den 
kriegerischen oder geistigen geehrt hat: durch Verleihung von Auszeichnungen, über die erin jedem 
Grade verfügt. Die Schaffung eines neuen Geld- oder Industrieadels neben dem alten Adel des 
Schwerts und der Robe regt die mächtigsten Instinkte der Menschenbrust, den Ehrgeiz an; die 
soziale Ehrung des W irtschaftseıwerbs führt ihm eine Reihe fähigster Köpfe zu, die ohne diesen 
psychologischen Antrieb sich anderen Berufen zugewandt hätten. 
Fördert der Staat auf diese Weise die Wirtschaft, indem er ihre Führerstellen füllen hilft, 
so kann er auch für Arbeitskräfte sorgen. Die Förderung der Allgemeinbildung 
(Volksschule, Fortbildungsschule) wie der Fachbildung (gewerbliche und landwirtschaftliche 
Schulen) der Arbeiter und Kleinproduzenten, die Unterstützung der Zuwanderung ausländischer 
Arbeiter (Ansiedlungspolitik junger Kolonialländer wie vor wenigen Jahrzehnten der United States 
und jetzt Argentiniens, Arbeiterbeschaffungsstellen wie die deutsche Arbeiterzentrale), das sind 
einige der Mittel der Arbeiterbeschaffung. Auch die Aufteilung von Grossgrundbesitz im Wege 
der inneren Kolonisation in Arbeiter- und Bauernstellen kann man hierher rechnen, Ebenso wie der 
Staat der Volkswirtschaft Kräfte zuführt, kann er auch umgekehrt die Arbeit seiner Bürger gegen 
die überlegene Konkurrenz Fremder schützen. Diese Überlegenheit kann ebensowohl in höherer 
Leistung bestehen (Ausschluss von europäischen Unternehmern in einzelnen orientalischen Staaten) 
wie in geringeren Ansprüchen (Ausschluss farbiger Arbeiter in angelsächsischen Ländern). Die 
Schutztätigkeit des Staates kommt freilich im ganzen weniger den Arbeitskräften 
als den Produzenten zugute; sie findet ihren Hauptausdruck in der Schutzzollpolitik. 
In allen Formen des Zolles, als Erziehungszoll, als eigentlicher Schutzzoll und gelegentlich 
selbst als Finanzzoll spielt diese Schutzfunktion die entscheidende Rolle; der Staat will entweder 
vorhandene Werte nicht entwerten lassen (Getreidezoll gegen die Konkurrenz jungfräulichen und 
raubbaumässig ausgebeuteten transozeanischen Bodens) oder die Schaffung neuer Werte ermög- 
lichen (Industriezölle in jungen Industrieländern). Dass für ihn selbst dabei eine direkte Bereiche- 
rung der Staatsfinanzen erfolgt, ist eine erfreuliche Nebenerscheinung, nicht aber die entscheidende 
Tatsache. Diese Förderung des Produzenteninteresses kann freilich durch eine Benachteiligung 
der Konsumenten erkauft sein, falls nämlich dadurch die Preise der hauptsächlichsten Lebens- 
bedürfnisse stärker steigen oder höher gehalten werden als die jeweilige Verdienstmöglichkeit. 
Wenn, wie im gegenwärtigen Deutschland (von gelegentlichen Schwankungen abgesehen), die 
Wirtschaftsförderungspolitik geschlossen und erfolgreich ist, wird das Gesamteinkommen des 
Volkes durch die erhöhte Produktivität stärker steigen als der Preis dieser Lebensbedürfnisse und 
s0 Konsumenten- und Produzenteninteresse parallel laufen. Es ist jedoch sehr wohl möglich, dass 
der Staat das Produzenteninteresse dem der Konsumenten opfert, oder genauer gesprochen, das 
eines Teils der Produzenten dem eines Teils der Konsumenten; es mögen auch wohl einzelne Pro- 
duzentengruppen gegenüber anderen zurückgesetzt werden (,„reine‘‘ Walzwerke gegenüber den 
gemischten Werken, Konzessionen in Handelsverträgen). Der Staat muss dann entscheiden, 
welches Interesse das für ihn wertvollere ist. Endlich kann auch eine bewusste Opferung wirt- 
schaftlicher Interessen sowohl aus innerpolitischen Gründen (Vorherrschaft einer Klasse, Mittel- 
standspolitik) wie aus Rücksichten der äusseren Politik erfolgen (imperialistische Bestrebungen 
in England). 
Die eben in den äussersten Umrissen angedeutete Produzenten- und Produktionsschutz- 
politik sucht die allgemeinen Existenzbedingungen für die Wirtschaft oder Gruppen von Wirt- 
schaftenden sicherzustellen oder zu bessern. Daneben hat der Staat schon seit Jahrhunderten eine 
recht energische direkte Unterstützung einzelner Produktionszweige 
für eine nicht zu umgehende Aufgabe erachtet: Landeskultur und Gewerbeförderung nehmen auch 
bei uns keine geringere Stelle ein als einst im Staate Ludwigs XIV. oder Friedrichs des Grossen. 
Freilich wird im modernen Staate jede direkte Zuwendung an eine Einzelperson nach Möglichkeit 
vermieden, sondern immer ein grösserer Personenkreis berücksichtigt, wobei am Ende freilich doch
	        
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