Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Frans Oppenheimer, Staat und Gesellschaft. 117 
  
sein kann: die Spaltung der Gesellschaft in Besitzende und „freie Arbeiter‘. Und so wird hier das 
Kapital „sekundäres Gewalteigentum‘“. 
In der Sprache der Ökonomik: wo aller Boden okkupiert ist, besteht zwischen Ober- und 
Unterklasse ein „Klassen-Monopol-Verhältnis“. Die Oberklasse als Gesamtheit ist Eigentümerin der 
für die Unterklasse unentbehrlichen Produktionsmittel; unter solchen Umständen ist der Mono- 
polist in der Lage, einen „Monopolgewinn“ zu machen. Darüber sind sich alle Schulen einig; nur 
hat die alte Theoretik jenes Monopol, das sie durch ursprüngliche Akkumulation entstanden glaubte, 
als „natürliches“ betrachtet, während es in der Tat, wie die Ziffern zeigen, ein „‚rechtliches‘‘, „künst- 
liches“ ist. Und so enthüllt sich uns alles Grosseigentum an den Produktionsmitteln als „Gewalt- 
eigentum‘“, d. h. als politisches Mittel der Oberklasse zur Aneignung des Klassen-Monopolgewinns, 
des von Marx sog. „Mehrwertes‘, der „Herrenrente‘ nach Rodbertus, d. h. der Grundrente samt 
dem Kapitalprofit. 
Danach lässt sich der historische Staat nach Form und Inhalt folgendermassen definieren: 
der Form nach ist er eine von einer siegreichen Gruppe einer unterworfenen Gruppe auferlegte 
Rechtsinstitution. SeinInhaltist die „Bewirtschaftung“ der Untergruppe durch die Obergruppe 
nach dem Prinzip des kleinsten (politischen) Mittels, d. h. die auf möglichste Dauer berechnete 
unentgoltene Aneignung eines möglichst grossen Anteils ihres Arbeitsertrages bei möglichst ge- 
ringem eigenen Aufwand. 
Das Objekt dieser „Staatswirtschaft‘ ist also das mobile und immobile Eigentum der 
Unterklasse und ihre Arbeitsenergie als Quelle zukünftig zu beschaffender Wertdinge. Und, wie bei 
aller Wirtschaft, ist auch hier zwischen Beschaffung und Verwaltung zu unterscheiden. Die Be- 
schaffung geschieht durch äussere oder geistliche Gewalt oder durch beide zusammen; die 
Verwaltung geschieht durch das Recht : das durch die Gewalt gesetzte private Eigentum 
wirdim bürgerlichen Rechte sanktioniert, und das so entstandene Klassenverhältnis im 
Staatsrechte (Verfassung) gewährleistet und durch die Staatsverwaltung mittels Justiz und 
Heeresmacht gegen Umsturzgelüste geschützt. Einen anderen Inhalt hat das Staatsleben im A n- 
fang nicht. Der Staat ist seiner Entstehung und seiner ratio essendi nach ursprünglich nichts 
anderes als die auf die Dauer berechnete Organisation des Gewalteigentums, d. h. des im Recht 
fixierten politischen Mittels, er ist nichts anderes als das entfaltete politische Mittel. Später nimmt 
freilich der Staat andere Bestandteile auf. Davon weiter unten. 
I. Die „Beschaffung“ der Unterklasse. 
Im folgenden sehen wir von der seltenen und unwichtigeren Entstehung des Staates durch 
geistliche Gewalt ab. Bei seiner Entstehung bilden das Objekt, die spätere Unterklassc, fast immer 
sesshafte Ackerergruppen (meist Hackbauern); das Subjekt, die spätere Oberklasse, der Adel, 
sind in der alten Welt fast ausnahmslos Hirtennomaden, in der neuen Welt Jägerstämme. Die 
Beschaffung des Objektes der Staatswirtschaft vollzieht sich in sechs wohlcharakterisierten Stadien, 
von denen im Einzelfalle einige übersprungen werden können. Jedes spätere Stadium erwächst aus 
dem früheren darum, weil es ein „kleineres Mittel“ als jenes darstellt: 1. Grenzraubkrieg. 2. „Imker- 
stadium‘‘: die Sieger holen den Tribut bei den Unterworfenen ab, lassen ihnen aber die Lebensnot- 
durft. 3. Tributstadium: die Besiegten senden den Tribut an die Sieger. 4. Mechanische Mischung: 
die Sieger hausen zwischen den Besiegten, beziehen den Tribut, kümmern sich aber nicht um ihre 
Wirtschaft und Verwaltung. 5. Residenten-Stadium: die Sieger halten an jedem Ort der Selbstver- 
waltung einen Vertreter zum Zwecke der Mit- oder Ober-Regierung. 6. Vollausgebildeter Staat. 
I. Die „Verwaltung“ der Unterklasse. 
Das so „beschaffte‘‘ Objekt der Staatswirtschaft wird nun nach dem Prinzip des kleinsten 
Mittels mit der Absicht „‚verwaltet‘‘, d.h. vor Verlust und Verderb bewahrt, den grössten dauernden 
Erfolg der Bedürfnisbefriedigung der Oberklasse zu erzielen. Zu dem Zwecke muss schon vom zweiten, 
dem Imkerstadium, an die Oberklasse den Grenzschutz gegen andere Raubstämme über- 
nehmen. Später, und zwar spätestens vom fünften, dem Residentenstadiurn, an tritt als mindestens
	        
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