Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen. 139
Merkmal der Monarchie anzusehen ®) Thronverzicht und Thronentsetzung sind als Rechts-
einrichtungen der Monarchie weder begrifflich noch tatsächlich unmöglich. Ebenso ist es
nicht nur theoretisch denkbar, sondern auch praktisch durchführbar, dass der Herrscher für
einen bestimmten Fall, wie z. B. das Besteigen eines fremden Thrones, verfassungsmässig
seiner Krone verlustig geht. Derartige Bestimmungen finden sich beispielsweise in der
Verfassung von Sachsen-Coburg-Gotha vom 3. V. 1852 $ 9°) und in dem bad. Hausgesetz
vom 4. X. 1817) — ein Beweis, dass die Lebenslänglichkeit der Monarchenstellung nicht
als ein notwendiges Merkmal der monarchischen Verfassung angesehen werden kann.
Anders steht es mit der Verantwortlichkeit. Verantwortlichkeit bedeutet Unter-
werfung unter das Urteil einer anderen Gewalt, ist also auf seiten des Trägers der höchsten
Gewalt etwas begrifflich Unmögliches.. Wenn im Mittelalter gleicbwohl unter dem Eindrucke
der verschiedenartigsten Theorien und namentlich der dem Staatsgedanken ja schon an sich
widersprechenden lehensrechtlichen Anschauungen jahrhundertelang von einer Verantwortlich-
keit der Souveräne gesprochen wurde, so konnte doch diese Verantwortlichkeit tatsächlich
nicht in den Formen des Rechts, sondern nur auf dem Wege der Gewalt in Anspruch ge-
nommen werden und verliert so den Charakter der Rechtseinrichtung.*) Wir sind also
trotz der entgegenstehenden Rechtsauffassung des Mittelalters berechtigt, die Unverantwort-
lichkeit des Monarchen, so wie sie auch schon im alten Griechenland und im alten Rom
anerkannt war, als ein Essentiale der Einherrschaft zu bezeichnen.
2. Die Arten der Monarchie.
Ebenso wie für die Unterscheidung der Grundformen der staatlichen Herrschaft besteht
auch für die Unterscheidung ihrer Unterar ten eine unübersehbare Menge von Unterscheidungs-
möglichkeiten und U äb Die Einteilungsgründe sind je nach dem
Interesse des Betrachters bald geschichtlicher, bald philosophischer, bald theologischer, bald
naturwissenschaftlicher, bald politischer, bald juristischer Natur — am seltensten das letztere.*)
Vielfach gehen sie systemlos durcheinander. Bestimmte Einteilungsgründe lassen sich nur
für die Unterscheidung der verschiedenen Unterarten der Monarchie, andere nur bei der
Unterscheidung der einzelnen Unterformen der Mehrherrschaft, einzelne lassen sich sowohl
hier wie dort verwenden.
Den wichtigsten Einteilungsprinzipien. folgend kommen wir zu folgenden Unter-
scheidungen:®)
a) Wahlmonarchie und Erbmonarchie.
Der Gegensatz, der zu dieser Unterscheidung führt, ist die Verschiedenartigkeit der
Berufung des Monarchen zu seiner Herrscherstellung.
In der Erbmonarchie bestimmt sich die Berufung zum Throne nach der Verwandtschaft
mit dem Vorgänger in der Herrschaft nach Massgabe der Thronfolgeordnung. Die Erb-
lichkeit der monarchischen Würde geht auf Jahrtausende zurück und findet sich unter
den primitivsten wie unter den höchstentwickelten Völkern.) Die Thronfolgeordnung be-
®, A.M. Jellinek, S. 672 (689), wenngleich er die Möglichkeit von Abweichungen anerkennt;
ähnlich Schwaerzlose, Die differenzierenden Momente zwischen Demokratie, Aristokratie und Monarchie,
Heidelbg. Diss. 1905. S. 47.
%), S. Jellinek, 2.A. S. 672, 3. A. 689,
0) Vgl. Walz, bad. Staatsrecht, 1909, S. 45. — Vgl.auch die bayr. Verfassungmovolle vom November 1911.
Vgl. von Frisch, Die Verantwortlichkeit der Monarchen und höchsten Magistrate, 1904, S. 104ff.,
Jellinek, S. 672 (689) ff.
“) Treitschke, Politik, II, S. 69f unterscheidet z. B. 1. das heroische Königtum; 2. die Lehnemo-
narchie und die aus ihr hervorgegangene ständische Monarchie; 3. das Wahlkönigtum; 4. die absolute Erbmo-
uarchie; 5. die konstitutionelle Monarchie; 6. Tyrannis, Caesarismus und Bonapartismus.
©) Die Unterscheidungen unter a) und b) finden sich vor allem bei Adolf Merkel, Jurist. Enzyltopadie,
5 A. ‚bee. yon Rudolf Merkel, 19 3, $$ 398ff., und bei Jellinek.a. a. O., 2.A. S. 674ff., 3. A. S. 691f)
.z.B,Ermen, Ägypten, S. 101; Wilutzky, Vorgeschichte des Rechts, 1903, B. III, S. 10.
Über Erbkönigtann und Wahlprinzip in Deutschland s. Meister, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. A.
1913, S. 84 if.