Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

190 Franz W. Jerusalem, Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung. 
  
  
eine administrative Handhabe zu finden, durch welche die Resultate der Inspektion auch praktisch 
verwertet werden und Übelstände, die sich gezeigt hatten, beseitigt werden konnten. Diese Hand- 
habe wurde nun entsprechend den besonderen Verhältnissen der Polizeiverwaltung in anderer 
Weise als bei der Armenverwaltung gefunden. Man fand hier ein indirektes Zwangsmittel, indem 
man an das finanzielle Interesse der Lokalbehörde anknüpfte. Das Gesetz bestimmte nämlich, dass für 
den Fall, dass auf Grund einer formellen Erklärung des Staatssekretärs die Polizei einer Grafschaft 
oder Munizipalstadtsich in einem Zustande befriedigender Leistungsfähigkeit befinde, diese ein Viertel 
ihrer Auslagen für Uniformierung und Besoldung der Polizeimannschaft aus Staatsmitteln vergütet 
erhalten solle. Dieser Betrag wurde später erhöht. Obwohl also das Gesetz der Zentralbehörde 
lediglich die Befumis gibt, festzustellen, ob die Polizei in den einzelnen Verwaltungsbezirken 
leistungsfähig sei und den Anforderungen des Gesetzes und der besonderen lokalen Verhältnisse ent- 
spricht, was sie nach eigenem Ermessen entscheidet, ist doch durch die, die lokalen Finanzen im Falle 
mangelnder Leistungsfähigkeit bedrohende Entziehung des Staatszuschusses eine so intensive Be- 
einflussung der lokalen Polizeiverwaltung möglich geworden, wie sie in einem absolutistischen Polizei- 
staate nicht energischer sein kann, ohne dass die Abneigung der Nation gegen jede ministerielle 
Überwachung und Reglementierung Veranlassung zur Unzufriedenheit hätte. Durch dieses 
System ist die englische Polizei zu einem einheitlichen und wirksam geleiteten Verwaltungs- 
zweig geworden, ohne dass England auch nur einen Schritt dem Polizeistast näher gekommen wäre. 
Ein ähnliches System ist auch noch auf anderen Verwaltungsgebieten zur Anwendung gekommen, 
auf die jedoch in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen zu werden braucht. Mir musste 
es genügen, an einem weiteren Beispiele zu zeigen, wie man es in England verstanden hat, die Be- 
dürfnisse der modernen Zeit nach Zentralisierung der Verwaltung zu vereinigen mit dem englischen 
Grundsatz der verfassungsmässigen Dezentralisation der Verwaltung. 
Auch inFrankreich istdie heutige Verteilung der Verwaltungsgeschäfte nur verständlich 
im Zusammenhang mit der allmählichen Entstehung des französischen Reiches, mit der sie in engster 
Beziehung steht. Als Hugo Capet von den Grossen des Westfrankenlandes, zu denen er selbst 
gehörte, die Krone erhielt, war seine Macht durch die neue Würde nicht erhöht, sondern eher ver- 
mindert. Er und seine Nachfolger verstanden es nun, einerseits durch kluges Nachgeben gegenüber 
den Grossen des Landes, anderseits durch vorsichtiges aber konsequentes Festhalten an der Ober- 
lehnsherrschaft sich eine moralische Macht zu verschaffen und die Dynastie auf dem Thron zu erhalten, 
was zunächst regelmässig dadurch erreicht wurde, dass der als Thronfolger in Betracht kommende 
Sohn bereits zu Lebzeiten des regierenden Königs zum Mitregent gemacht und als solcher aner- 
kannt wurde. Durch Eroberung, Erbschaften und kluge Heiraten haben es die französischen 
Könige dann verstanden nach und nach zu ihren Stammlanden, Isle de France und Orleanais, 
das ganze heutige Frankreich in ihre Hand zu bekommen. Daneben tritt schon sehr früh das Be- 
streben zu Tage, sich innerhalb der eigenen Besitzungen von fremden Gewalten frei zu machen. 
Abgesehen von den Parlamenten und den Generalständen, die hier nicht weiter in Betracht kommen, 
gehörten dazu die Lehnsträger, ferner die autonomen Städte, die im 13. und 14. Jahrhundert fast 
unabhängige Republiken waren, selbständig Krieg führten, Steuern erhoben, eigenes Münzrecht und 
Gerichtsbarkeit hatten, sowie endlich die seit dem 11. Jahrhundert nachweisbaren Provinzialstände, 
die in den einzelnen Territorien befugt sind, die vom Könige verlangten Steuern zu bewilligen und 
die allmählich dazu gelangten, durch eigene Organe, die „Elus‘‘, diese Steuern erheben zu lassen 
und die schliesslich sogar für Zwecke des Territoriums selbst Steuer ausschrieben. Schon sehr früh 
finden sich nun Beamte des Königs, welche den Kampf gegen diese Gewalten aufnehmen. Ludwig 
IX., der Heilige, organisierte die Grands Baillis und die Senechaux, die militärische und richterliche 
Befugnisse in sich vereinigten und die daneben als Steuerbeamte fungierten. Seit Franz I. (1515 bis 
1547) begann aber erst die eigentliche Tendenz nach völliger Zentralisation der Verwaltung, deren 
Ziel zunächst die allmähliche Zurückdrängung und schliesslich die Beseitigung aller dieser Ge- 
walten war. 
Im Jahre 1545 schuf er das Amt des Gouverneurs, das allerdings schon vorher existiert 
hatte, aber jetzt zur Grundlage der Verwaltungsorganisation wird. Das ganze Land wurde 
in 12 grosse „Gouvernements“ eingeteilt, an deren Spitze die Gouverneure standen. Neben diesen 
förderten vor allem die G&neralit&s, die ehemaligen Elus, die in den meisten Territorien um das Jahr
	        
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