Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

206 Hugo. Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. 
  
kommunalen Samtgemeinden, die andern die Verhinderung solcher Entwicklung. Die letzteren 
haben recht behalten; die kommunale Funktion der Amtsbezirke ist völlig verkümmert; sie 
sind lediglich ländliche Ortspolizeibezirke geblieben. Denn soweit musste die Kr. O. allerdings 
in das Verhältnis von Rittergut und Landgemeinde eingreifen, dass sie endlich die 1807 
beabsichtigte Aufhebung der gutsherrlichen Patrimonialpolizei aussprach, wie auch die des Erb- 
oder Lehnschulzenamts, an dessen Stelle der gewählte Gemeindevorsteher trat. Da man aber 
keine genügend starken Landgemeinden schuf, tat man gerade das, was bei den Beratungen von 
allen Seiten prinzipiell verworfen worden war, indem man auch hier wieder die Ortspolizei von der 
Kommunalorganisation losriss und sie dem vom Oberpräsidenten zu ernennenden Amtsvorsteher 
überwies. Tatsächlich blieb damit in vielen Fällen die alte Patrimonialpolizei unter anderer Firma 
bestehen; denn schr häufig erscheint immer noch der Rittergutsbesitzer in der Eigenschaft des 
Amtsvorstehers als Polizeiherr über die Landgemeinden. 
Bei dieser Sachlage war es weiter unmöglich, die Kreisvertretung einheitlich aus den Ge- 
meindevertretungen hervorgehen zu lassen; vielmehr wurde der Kreistag im Anschluss an die 
„gegebene Gliederung“ in Städte, Landgemeinden und selbständigen Grossgrundbesitz in Gestalt 
der 3 Wahlverbände gebildet. Allerdings wurde für die Zugehörigkeit zum ersten Kreisstand nicht 
an der „historischen Eigenschaft als Rittergut“ festgehalten; sondern massgebend ist ein Census 
an Grund- und Gebäudesteuer; auch treten die ländlichen Gewerbetreibenden der höchsten Ge- 
werbesteuerklasse hinzu. Während die ländlichen Kreistagssitze je zur Hälfte auf diesen ersten 
Wahlverband und den der Landgemeinden verteilt werden, geschieht die Verteilung zwischen 
Stadt und Land ohne Rücksicht auf die Steuerleistung nach dem Verhältnis der Einwohnerzahlen; 
jedoch mit der Beschränkung, dass die Städte keinesfalls mehr als die Hälfte, wenn nur eine Stadt 
zum Kreise gehört, höchstens ein Drittel der Abgeordneten stellen. Das mächtig aufstrebende 
städtische Element ist also kraft Gesetzes zur ewigen Minorität innerhalb der Kreisverfassung 
verurteilt, die sich damit von vornherein in prinzipiellen Gegensatz zur natürlichen Entwicklung 
unsrer Zeit gesetzt hat. Freilich haben die Städte von mehr als 25 000 E. die Möglichkeit, aus 
dem Kreise auszuscheiden und selbständige Stadtkreise zu bilden. Soweit diese Möglichkeit Wirk- 
lichkeit wird, was meist recht schwierig ist, prägt sich natürlich der antiurbane Charakter des 
zurückbleibenden Landkreises noch schärfer aus, so dass er auch für die kleineren Städte keinen 
geeigneten Platz bietet. Daran ändert die halb anerkannte, halb wieder verkümmerte Sonder- 
stellung der ‚kreisangehörigen Städte von mehr als 10.000 E. gar nichts. Ueberhaupt versagt 
ja unsere | tliche Grenzziehung zwischen Stadt- und Landgemeinde 
völlig gegenüber der modernen Entwicklung, vor allem in Industriegegenden und in der Umgebung 
der Grosstädte; sie ermöglicht die Existenz von ‚Städten‘ mit 500—600 E. neben „Landgemeinden“ 
mit 5060 000 E. Letztere hält man künstlich im „Stande der Landgemeinden“ zurück, weil sie 
als Städte doch ihr Ausscheiden aus dem Kreise schliesslich durchsetzen könnten. Sie und die 
kreisangehörigen Städte sollen durch ihre Steuerkraft der Leistungsschwäche der Kleingemeinden 
und Gutsbezirke aufhelfen. Andererseits sind sie an den Leistungen der Kreisgemeinde weit weniger 
interessiert, weil sie als Grossgemeinden die wichtigsten kommunalen Aufgaben zunächst allein 
zu erfüllen haben. Daneben aber müssen sie weiter durch die Kreisorganisation einen grossen Teil 
der Kosten für die kommunalen Funktionen aufbringen, denen die Kleingemeinden und Guts- 
bezirke nicht gewachsen sind. Bei alledem bilden ihre Vertreter auf den Kreistagen die geborene 
Minorität. 
Schliesst schon diese Gestaltung des Repräsentativorgans der Kreisgemeinde ein wirkliches 
kommunales Leben aus, so gilt dies nicht minder von den beiden anderen obersten Organen. Der 
vom Kreistag gewählte Kreisausschuss ist natürlich ein Mikrokosmos seines Wahlkollegiums. 
Und der Leiter der ganzen Kreisverwaltung, der von Amts wegen den Vorsitz im Kreistag und Kreis- 
ausschuss führt, der Landrat, ist mit der Kreisgemeinde nur durch eine rechtlich unmassgebliche 
Vorschlagsbefugnis des Kreistags verbunden. Er ist „ad nutum amovibler“ politischer Beamter, 
steht also in schärfstem Subordinationsverhältnis zu den vorgesetzten Staatsbehörden, mithin in 
prinzipiellem Gegensatz zur Selbständigkeit eines Selbstverwaltungsorgens. Auf der anderen 
Seite erscheint freilich bei ihm auch die prinzipielle Unabhängigkeit der reinen Stastsbeamten von
	        
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