Hugo Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. >13
keit ein, die bis zur Gegenwart fortgedauert und in manchen Mittelstaaten zu fruchtbareren und
zeitgemässeren Resultaten als in Preussen geführt hat.
ayern reformierte seine Gemeindeverfassung i. J. 1869 durch zwei verschiedene Ord-
nungen für die rechtsrheinischen und für die pfälzischen Landesteile. Im Gegensatz zu den übrigen
deutschen Staaten hat Bayern auf Grund seines Reservatrechtes nicht das System der Einwohner-
gemeinde angenommen, sondern das der Heimatsberechtigung beibehalten. Der Unterschied
zwischen Stadt- und Landgemeinde-Verfassung bestand nur im rechtsrheinischen Bayern, nicht
in der Pfalz; auch nur dort die Magistratsverfassung. Durch Ges. v. 15. Aug. 1908 ist die Städte-
verfassung in der Pfalz modifiziert worden; ferner ist in allen bayerischen Gemeinden von mehr
als 4000 E. das Proportionalwahlsystem eingeführt.
Baden und lHessen begannen die Reform ihrer Gemeindegesetzgebung 1874 und
setzten sie durch eine Reihe von Novellen bis zur jüngsten Zeit fort. Das Königreich Sachsen
revidierte seine St.O. durch zwei Gesetze v. 1873, eines für die grossen, das andere für mittlere und
kleine Gemeinden; im Rahmen des ersteren haben Dresden, Leipzigund Chemnitz
je ibr besonderes Statut.
In Württemberg ist nach langen Kämpfen im Zusammenhang mit einer Verfassungs-
revision die Gemeinde-O. v. 28. Juli 1906 zustande gekommen, die zwar drei Klassen von Ge-
meinden nach der Einwohnerzahl (über 50 000, über und unter 10 000) durch einige Sonderbe-
stimmungen unterscheidet; aber doch allen gemeinsame Grundlagen der Organisation gibt. Orts-
vorsteher, Gemeinderat und Bürgerausschuss werden sämtlich unmittelbar von der Bürgerschaft
gewählt; die beiden Kollegien beraten in der Regel gemeinschaftlich.
Und so sind während der letzten Jahrzehnte in fast allen Einzelstaaten Gemeindegesetze
in überreicher Füll» ergangen, deren Aufzählung hier unterbleiben mag.
Vielfach hing diese Gemeindegesetzgebung mit der über die Organisation höherer Kom-
munalverbände zusammen, die nach dem Vorgange Sachsen-Weimars i. J. 1850 und Badens 1863
jetzt mit Ausnahme weniger Kleinstaaten überall durchgeführt ist. In Bayern steht neben der
staatlichen Verwaltungseinteilung in Kreise und Bezirke die kommunale Vertretung in Landräten
und Distriktsräten. Die württembergischen Oberamtsbezirke sind Kommunalkörper
mit dem Repräsentativorgan der Amtsversammlungen. Ähnlich in einer Reihe norddeutscher Klein-
staaten. In anderen Staaten fallen die Kommunalverbände nicht mit den staatlichen Verwaltungs-
bezirken zusammen, stellen ihnen aber das ehrenamtliche Element wie bei den preussischen Be-
zirksausschüssen. So wählen in Sacbsen die kommunalen Bezirksversammlungen die ehren-
amtlichen Mitglieder der staatlichen Bezirks- und Kreisausschüsse. In Baden sind die Kreise
lediglich Kommunalkörper, denen aber durch Ernennung die ehrenamtlichen Mitglieder der
staatlichen Bezirksräte entnommen werden. In anderen Staaten endlich verbindet sich beides,
wieindenhessischen Kreis- und Provinzialtagen mit ihren Kreis- und Provinzial-Ausschüssen ;
in den braunschweigischen und anhaltischen Kreisversammlungen und ihren
Ausschüssen. Es sind gar viele Variationen über dasselbe Thema.
4. Die heutige Organisation der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland.
Die Grundlage der Gemeindeangehörigkeit bildet heute in allen deutschen Staaten mit
Ausnahme Bayerns die Einwohnergemeinde; nur in Bayern ist noch das System des
Heimatsrechts in Geltung, freilich gerade hinsichtlich der Gemeindeangehörigkeit sehr
gemildert. Im übrigen hebt sich aus der — vom Wohnsitz bestimmten — Gemeindeangehörig-
keit die Gemeinde-Mitgliedschaft oder-Bürgerschaft heraus durch Hinzutritt
gesetzlich bestimmter Eigenschaften: längere Dauer des Wohnsitzes, Grundbesitz, Steuerleistung
usw. Eine besondere Bürgerkorporation findet sich noch in Hannover. Ohne Wohnsitz kann das
Bürgerrecht den „Forensen‘“ zustehen, Einzel- oder Gesamtpersonen, die der Gemeinde durch
Grundbesitz oder Gewerbebetrieb von bestimmtem Umfang angehören. Der Inhalt des Bürgerrechts
ist heute ein lediglich kommunalpolitischer: aktives und passives Wahlrecht, Fähigkeit ev. Pflicht
zur Übernahme kommunaler Ehrenämter.