Wilhelm von Blume, Autonome Körperschaften. 93
für ihre Mitglieder da sind und nur derStaatdie vorhandenen Organisati fürsi und
benutzt hat. Sie sind „Körperschaften“ mit sozialem Eigenleben. Aber dieses Eigenleben könnte
heute nur in privatrechtlichen Formen sich abspielen, wenn nicht der Staat sie mit Hoheit ausstat-
tete. Er stärkt dadurch ihr Eigenleben; doch nur, um es für seine Zwecke ausnutzen zu können.
Die Rechtsform des privatrechtlichen Eigenlebens der Körperschaft ist die „juristischePer-
sönlichkeit“. Die Rechtsform des öffeatlichrechtlichen Eigenlebeus ist die „Selbstge-
setzgebung“ (Autonomie) und „Selbstverwaltung.“
Es verschlägt wenig, ob man den autonomen Körperschaften ein , Recht auf Selbstver-
waltung‘ zuerkennt. Denn es könnte immer nur vom Staate hergeleitet werden. Die naturrecht-
liche Anschauung, als ob ein unentziehbares Recht dieses Inhalts den Gemeinden und ähnlichen
Körperschaften zustehen müsse, ist heute wohl endgiltig überwunden. Sie ist unvereinbar
mit der herrschenden Auffassung vom Wesen des Staates; sie macht aus dem Einheitsstaate einen
Bund von Staaten. Deshalb ist auch die Ansicht, als stünde die Staatsaufsicht eigentlich
im Widerspruch zu dem „Geiste“ der Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung, ein Rück-
fall in naturrechtliche Vorstellungen. In der Aufsicht übeı die Körperschaften betätigt der Staat
lediglich, dass er die Quelle ihrer öffentlich-rechtlichen Befugnisse ıst. Nur dann liegt in der Staats-
aufsicht eine „Bevormundung“, wenn sie sich auf privatrechtliche Handlungen der Selbst-
verwaltungsorgane bezieht. Aber auch eine solche Bevormundung kann geboten sein, sofern die
Gefahr bı steht, dass diese Organe ihr Recht missbrauchen, um nicht das Gemeinwohl der Mitglieder,
sondern das eigene Wohl zu fördern.
Im übrigen ist die Frage, inwieweit die Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung durch die
Staatsaufsicht zu beschränken sei, lediglich vom Standpunkte des Staatsinteresses zu beantworten,
das heisst: massgebend wird sein. welchen Vorteil der Staat von der öffentlichrechtlichen Betätigung
der Körperschaften erwartet und welche Gefahren er zu befürchten hat. In dieser Hinsicht wird aber
ein Unterschied zwischen Körperschaften mit Gebiet(K len)und solchen ohne Gebiet
(Genossenschaften) sich ergeben.
Die Benutzung der Organisation der Körperschaften ermöglicht zunächst dem Staate eine
Dezentralisation der Verwaltung, eine sachliche und, wenn es sich um Gebietskörper-
schaften handelt, auch eine örtliche Dezentralisation. Aber für diesen Zweck würde es schon ge-
nügen, wenn er Organe € dieser Körperschaften i in seinen Dienst stellte, wie denn in deı Tat der Staat
für die Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung benutzt. In-
dem er aber j jenen Verbänden Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung zugesteht, will der Staat
mehr als nur Dezentralisation: er will das soziale Eigenlebender Körper-
schaften für Staatszwecke fruchtbar machen.
Diests Eigenleben ist nun beı Gebietskörperschaften insofern eigenartig entwickelt, als die
Bevölkerung durch die Wohnsitzgemeinschaft inuniger verbunden wird als durch irgend ein anderes
and, ausser etwa dem Bande der Blutsgemeinschaft. Erst durch Sesshaftwerdung wird aus der
Horde ein Volk, und die Kulturgemeinschaft, die im Zusammenhange mit dem Erdboden sich ent-
wickelt, erweist sich als stark genug. um sogar der Gemeinschaft des religiösen Glaubens Abbruch zu
tun, ja diese zu sprengen. Wenn also der Staat sesshafte Körperschaften in seinen Dienst stellen,
will, so findet er ein stark entwickeltes Eigenleben mit einem kräftigen Eigenbewusstsein vor, das
will sagen: ein starkes Bewusstsein der besonderen Gemeinschaft, die die Mitglieder dieser Verbände
zusammenschliesst. Und dieses gilt es schonend zu behandeln, ja zu pflegen. da gerade die hierin
zum Ausdruck kommende Gesamtpersönlichkeit es ist, die an diesen Verbänden für den Staat Wert
hat. In einem freien Staat, das heisst: einem Staat, der durch den Willen seiner Bürger lebt, wird
das Eigenleben der Körperschaften ebenso zu berücksichtigen sein wie das Eigen eben des Einzelnen.
Ist doch das Gemeinbewusstsein, das sich in den engeren Verbänden: der Familie, der Gemeinde
entwickelt. die Vorstufe für das Staatsbewusstsein und somit die Betätigung in diesen Ver-
bänden die Vorschule für die Betätigung im Staate.
Dabei soll nicht verkannt werden, dass die euphemistisch ‚.Lokalpatriotismus“ genannte
Sonderbünderlei auch eine nicht geringe Gefahr für den Staat bedeutet, eine zentrifugale
Kraft hat, derer entgegenwirken muss. Ein wichtiges Mittel zu diesem Zwecke ist die Zusammen-