Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Kari Bücher, Die Prosse. 265 
Bevölkerung beschränkt. Dieser haben sie ebensowohl den Willen der Zentralgewalt kund gemacht, 
als sie ihr die Kenntnis von Vorgängen vorzugsweise politischer Natur vermittelt haben. Ihr 
Erscheinen beruht auf Anordnung der Staatsgewalt; sie sind Regierungsmittel. 
Im Gegensatze dazu ist die Zeitung der modernen Völker ein wesentlich soziales Erzeugnis. 
Entstanden aus den Gewohnheiten des kaufmännischen Verkehrs in den letzten Jahrhunderten des 
Mittelalters hat sie in der Form des Briefes oder der Briefbeilage zunächst dem Neuigkeitsbedürf- 
nisse der politisch leitenden Kreise gedient und bereits im 15. Jahrhundert an den Mittelpunkten 
des Verkehrs zur Entstehung handwerksmässiger Avisenschreiber geführt, welche als Korrespon- 
denten einen bald engeren, bald weiteren Kreis von Kunden um Jahreslohn bedienten. Mit der 
Entstehung der Post als einer dem Publikum zugänglichen Nachrichtenbeförderungsanstalt hat 
diese die Organisation eines periodischen Nachrichtendienstes übernommen, ist aber mit ihren 
Monopolansprüchen auf diesen nicht durchgedrungen. Dennoch erhält sich die geschriebene Zeitung 
bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts. 
Neben ihr aber taucht die gedruckte Zeitung, zunächst in der Form von Einzelblättern mit 
Nachrichten allgemeineren Interesses schon seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf. Sie 
verbreitet sich im 16. Jahrhundert über alle Kulturländer Europas und dient neben der Nachrichten- 
vermittlung auch der politischen, kirchlichen und moralischen Propaganda, meist in ungebundener, 
aber auch oft in gebundener Rede, so dass sie schon als Trägerin einer öffentlichen Meinung gelten 
kann. Neben ihr entstehen gegen Ende des 16. Jahrhunderts hauptsächlich aus dem Nach- 
richtenmaterial der geschriebenen Zeitungen zusammengestellte Halbjahrsübersichten (Messrela- 
tionen) und seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts gedruckte Wochenzeitungen, die in die Rolle 
der geschriebenen Zeitungen hineinzuwachsen streben, mit denen sie die Anordnung des Stoffs 
und die Wege des Nachrichtenbezuges teilen. Sie sind in Deutschland schon 1609 nachzuweisen, 
in England erst 1622, ihm folgt Holland 1626, Frankreich 1631, Italien 1636, Portugal 1641, Schwe- 
den 1644 und Spanien 1661. 
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb diese periodische Presse fast reines Nachrichten- 
veröffentlichungsinstitut, das über das eigene Land am wenigsten unterrichtete und nur etwa über 
auswärtige Angelegenheiten ein Urteil sich erlaubte. Nur die englische Presse zur Zeit Oliver Cron- 
wells und die für das Ausland in französischer Sprache gedruckten holländischen Zeitungen machten 
eine Ausnahme. Fast überall wurden die Zeitungen durch ihre Abhängigkeit von den Regierungen, 
durch Zensur und Privilegientaxen wie auch durch eigentliche Steuern niedergehalten. Dass 
einzelne von ihnen bereits im 17. Jahrhundert mehrmals wöchentlich und bald täglich zu erscheinen 
begannen, änderte an diesen Zuständen wenige. 
Dagegen vollzog sich in der zu gleicher Zeit entstandenen Benutzung der Presse zur Ver- 
öffentlichung von Privatanzeigen eine folgenreiche Neuerung. Sie ging zunächst von eigenen Nach- 
richtenämtern oder Adresskomptoiren aus, welche sich die Vermittlung von Angebot und Nach- 
frage gegen Entgelt zur Aufgabe gemacht hatten und für ihre Zwecke eigene Anzeigeblätter (In- 
telligenzblätter) schufen. In Preussen wurde 1727 dafür ein Staatsmonopol errichtet. Allmählich 
gaben sich die Intelligenzblätter einen weiteren Inhalt, indem sie einen Teil des Nachrichtendienstes 
der politischen Zeitungen mit übernahmen, und umgekehrt eigneten sich die letzteren — von Eng- 
land ausgehend — seit der Mitte des 17. Jahrhunderts das private Anzeigewesen an. So entstand 
in langsamer Entwicklung jene Verquickung öffentlichen und privaten Interesses, welche die mo- 
derne Zeitung charakterisiert. 
Fast gleichzeitig betrat die periodische Presse den Boden der Diskussion öffentlicher Ange- 
legenheiten auch des eignen Staates, den sie seitdem nicht mehr verlassen hat. Sie stiess dabei auf 
den heftigen Widerstand der Regierenden; aber in jahrhundertlangem Kampfe hat sich der Ge- 
danke der Pressfreiheit gegenüber den Unterdrückungsmitteln der polizeistaatlichen Bureaukratie 
durchzusetzen vermocht, und er ist in den konstitutionellen Verfassungen des 19. Jahrhunderts 
fast überall in irgendeiner Weise sicher gestellt worden. Unter seinem Schutze hat die Zeitungs- 
presse in den letzten Menschenaltern jene gewaltige Umwälzung vollzogen, deren Ergebnisse uns 
in ibrer heutigen Ausgestaltung vor Augen treten.
	        
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