Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

388 Max Fleischmann, Die materielle Gesetzgebung. 
  
geboten sein (Wertzuwachssteuer). Für eine rückwirkende Kraft wird immerhin der Anlass über- 
wiegend beim öffentlichen Rechte gegeben sein. Nach einer anderen Richtung bedenklich und nicht 
immer genügend gewürdigt ist es, wenn der Gesetzgeber den Zeitpunkt der Geltung eines Gesetzes 
schon auf den Tag der Verkündung legt, an dem nur selten jemand von dem Gesetze eine rechte 
Kenntnis haben wird. Darin steckt ein Stück rückwirkender Kraft. 
Das Gesetz muss eine Stütze in der Überzeugung des überwiegenden Teiles der Bevölkerung 
(nicht immer ziffernmässig) suchen; es muss in diesem Sinne national sein. Übertrieben ist aber 
die Ansicht Montesquieus (Esprit des lois I 13): Les lois doivent &tre tellement propres au peuple 
pour lequel elles sont faites que c’est un tr&s grand hasard si celles d’une nation peuvent convenir 
ä une autre. 
Der moderne Verkehr verlangt nach einem und führt zu einem Ausgleich der Rechtsver- 
schiedenheiten durch Herübernahme bewährter Ordnungen aus anderem Staate; er macht sich 
Erfahrungen, ja Formulierungen zunutze. Solch bewusste Rezeption birgt an sich keine Gefahr, 
da sie eine Auslese treffen kann. Wir sehen sieam Werke, wenn sich die Wissenschaft in ihren Dienst 
stellt, indem sie die Schätze des Auslandes auf ihre Verwertbarkeit für das Heimatrecht durch- 
mustert. Sie zeigt unter Umständen eine gewisse Uninteressiertheit, ein Fehlen der Verknüpfung 
mit Interessen eines herrschenden Standes, weshalb uns die Geschichte früher Zeiten zuweilen von 
der sonst auffallend erscheinenden Forderung der niederen Volksklassen berichtet, die Gesetze 
von auswärts zu holen. Die Aufstellung Benthams hinwieder, dass der Ausländer für die Gesetz- 
gebung gerade der geeignete Mann sei, richtet sich durch ihr Übermass von selbst. 
Für die Verhältnisse innerhalb Deutschlands wird man bei der an sich wün- 
sehenswerten Freiheit der Einzelstaaten in der Gestaltung ihres Rechts doch als Anforderung der 
Gesetzgebungspolitik hinstellen müssen: Fühlung zwischen den einzelnen Staaten 
auf dem ihnen verbleibenden Gebiete der Gesetzgebung, um die Rechtsverschiedenheit möglichst 
in engen Grenzen zu halten. Die kleineren Staaten lehnen sich deshalb, vielfach sogar durch wört- 
liche Übernahme, an die Gesetzgebung der grossen Staaten namentlich Preussens, an. Für An- 
regungen und Abreden hierüber bietet sich nicht selten ohne offizielle Zuständigkeit im Bundesrate 
das geeignete Mittelsorgan. 
In dieser Art entsteht eine „Parallelgesetzgebung‘‘ der Staaten, die natürlich nicht auf 
Gliedstaaten eines Bundes beschränkt zu sein braucht. 
Andererseits wird man nunmehr von dem Reichsgesetzgeber fordern müssen, dass er bei 
jedem Gesetze erwägt, ob und inwieweit ihm eine Anwendung in den Kolonien zuteil werden 
solle. Hierfür sind erfreuliche Ansätze vorhanden; aber doch erst Ansätze, 
2. Beschaffung des Stoffes. 
Für die Herbeischaffung des Stoffes, des Inhalts der Rechtsgedanken, die in dem Gesetze 
geformt werden sollen, genügt nicht die (unerlässliche) Kenntnis der kulturellen Voraussetzungen 
für das Gesetz: als Grundlage ist Kenntnis des vorhandenen Gesetzesbestandes zu. erfordern 
und der Behandlung, die er in Rechtsprechung und Wissenschaft erfahren hat. Aus diesem 
Grunde schon überwiegt für die Vorbereitung und Ausarbeitung unter den gesetzgebenden Faktoren 
die Regierung. 
Die zentralen Verwaltungsbehörden sind für ihren Bereich in der Regel auch mit den vor- 
bereitenden Arbeiten für die Gesetzgebung betraut. Sie setzen ihrerseits durch Umfragen (regel- 
mässige Berichte oder für den bestimmten Zweck) die unterstellten Amtsorgane in Bewegung. 
Das Reich allerdings ist meist noch auf den Umweg über die Zentralinstanzen der Einzelstaaten 
verwiesen. Es ist deshalb nicht selten, dass Gesetzentwürfe für das Reich von den preussischen 
Behörden bearbeitet werden: ein nicht entsprechendes Verhältnis, das in dem nicht vollendeten 
Ausbau der Reichsorgane seinen Grund hat. Andererseits stellt das Reich oft den eigenen Organis- 
mus zur Beschaffung des Materials über die einschlagenden Verhältnisse des Auslandes zur Ver- 
fügung. Neuerdings wird diese Erkenntnisquelle gelegentlich durch Studienreisen amtlich beteiligter 
Personen in das Ausland verstärkt (z. B. für die Kolonialgesetzgebung), oder es wird die Wissen-
	        
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