Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Max Fleischmann, Die materielle Gesetzgebung. 3y1 
seine volle Absicht aber nicht zum Ausdrucke bringt; Kasuistik vergisst, übersieht; sie kann zu 
eng sein bei aller Fülle. Indes auch die abstrakte Fassung ist nicht der Weisheit letzter Schluss; 
sie lässt Raum für eine Handhabung, die an dem Zwecke des Gesetzes vorbeigeht; sie trägt in sich 
die Gefahr des allzu Weiten. Ihre Verwendung ist darum nur die Regel, die in zahlreichen Fäden 
die Ausnahme fordert, sei es erschöpfende Aufzählung (Kasuistik) oder Erwähnung deutlich nur als 
Beispiel (Exemplifikation).”, Das Ziel bleibt das Verständnis des Gesetzes, die Möglichkeit des 
Verständnisses in den Kreisen, die sich nach dem Gesetze richten sollen. Verfassungsgesetze 
oder Strafgesetze müssen darum anders, schlichter reden als es Gesetze für Handel und Verkehr 
zu tun brauchen, oder Gesetze für Organisation und Verfahren der Behörden. 
Sämtlich sollen sie sich an die gute Sprache des Umgangs halten,5®) nicht schwerfällig, kein 
Papierdeutsch und am wenigsten ein „Juristendeutsch‘ reden. Das viel beredete Juristendeutsch! 
Zwei Dinge werden bei diesem Worte vermengt. Da sind die Auswüchse eines Kanzleistils, der uns 
aus der Zopfzeit anhaftet, d. i. den Behörden insgemein, nicht nur den Gerichten, gegen den aber die 
neuere Zeit einen so entschiedenen Feldzug eröffnet hat, dass wir einen fluchtartigen Rückgang 
auf der ganzen Linie verfolgen können.59) Hierauf beruht die Geringschätzigkeit des Wortes. Das 
trübt das Urteil; denn das Wort hat noch einen andern guten Sinn. Das Juristenhandwerk oder die 
Gesetzeskunst hat für ihre Eigenheiten eigene Fachausdrücke so gut nötig, wie andre Berufe sich 
deren gebildet haben. Man darf nicht eine Nomenklatur mit einer den Begriff scharf fassenden 
Terminologie verwechseln. Im Gegenteil, gut gewählte Fachausdrücke geben der Formulierung 
erst die begriffliche Schärfe: auch die Gesetzeskunst hat ihre Kunstsprache ausgebildet, freilich 
zumeist erst für das private Recht, und viel fehlt noch daran, dass die Sprachschwankungen unter 
den einzelnen Gesetzen ausgeglichen wären.6%) Dass diese Kunstsprache deutsch ist oder in den 
Einzelheiten deutsch werden soll, ist ein selbstverständliches Streben. 
Vernachlässigung im Ausdruck, Verschwommenheit (die sich aus der Sache im Worte spiegelt: 
eine Promulgation, Interessensphäre u. dergl.), zuweilen auch die Übernahme systematischer 
Kategorieen in Gesetzesbindung (z. B. „öffentliches“ Recht, „privates Recht‘ im Gesetz über die 
Konsulargerichtsbarkeit) rächen sich unausweichbar durch Schwierigkeiten in der Erkenntnis. An 
der Sammlung des Stoffes können sich nicht Kräfte genug beteiligen — ihn mitdem Werkzeug der 
®) Vgl. Stammiler, Theorie der Rechtswissenschaft $. 539; Oppenheim, Zukunft des Völker- 
rechts S. 165 fg., 174 (der diese Dinge von einer andern Warte aus betrachtet). v. Schey in der Festschrift 
zur Jahrhundertfeier des österr, BGB. 1911 I S. 508. 
68) In neuerer Zeit ist mehrfach der Entwurf grösserer Gesetze Sprachkennern zur Prüfung vorgelegt 
worden, so dem Allgemeinen deutschen Sprachverein das Zolltarifgesetz, die Reichsversicherungsordnung, der 
Entwurf einer Strafprozessordnung (auch die Eisenbahnverkehrsordnung), das preuss. Wassergezetz. 
5%) Aus den Aktenbergen steigen gewiss zuweilen auch endlose, holprig gebaute Perioden auf. Man kann 
sie rügen. Die Sünde gegen den deutschen Sprachgeist will aber an dem Masse der Arbeit mit gemessen sein und 
schrumpft da zusammen. Parturinut montes.... Kleinlichkeit und Übertreibung bleiben hierbei nicht immer aus. 
Nicht vergessen sollte man aber auf der andern Seite, dass in einer Zeit der Gleichgiltigkeit gegen das 
geschriebene deutsche Wort es an Juristen nicht gefehlt hat, die für Reinheit und Schlichtheit und Klarheit des 
deutschen Sprachgewandes und gegen den Barbarismus forensis eingetreten sind, Männer der Theorie wie der 
Praxis mit klangvollem Namen: Hommel, Pütter, Svarez, Hugo, Hymmen . ... . Sie haben uns manches’deutsche 
Sprachgut (die Fahrnis, die Errungenschaft, die Tagfabrt, den Tatbestand u. a. m.) gerettet. Ich gedenke, an 
anderer Stelle darauf zurückzukommen. 
%) Allgemeines in Günther, Recht und Sprache 1898. Bei den einzelnen Gesetzen hat die 
Durchforschung eindringlich eingesetzt; z. B. für die Zivilprozessordnung: Wach, Handbuch S. 284 f., 
Mendelssohn Bartholdy in der Rheinischen Zeitschrift für Zivil- u. Prozessrecht IV 1911 S. 1—55, 
ebenda S. 56 f: Ludwig Seufert, kritisch-alphabetisches Verzeichnis der materiellrechtlichen termini in den 
$$ .... der ZPO. und in der umgekehrten Richtung Herm. Mantel, kritisch-alphabetisches Verzeichnis der 
zivilprozessualen termini im BGB. (Dissertation Würzburg 1912), Planck (Knoke) Seite L. Wortverzeichnisse 
müssen den Bestand festlegen (für das BGB. von Gradenwitz, 1902, für das StGB. in der Ausgabe von 
BindingundNagler 1905). Sie sind die unerlässliohe Vorarbeit für Wörterbücher der Rechtssprache, wie 
es die Heidelberger Akademie zum BGB. plant und die den Anschluss in dem vorbereiteten allgemeinen Wörter- 
buoh der deutschen Rechteprache werden finden müssen. 
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