Paul Schoen, Die Verordnungen. 301
fassungsmässig bestimmten Formen zustande gekommen ist. In der neueren staatsrechtlichen Lite-
ratur geht allerdings eine starke Strömung dahin, dem Richter nur die Prüfung der formellen Er-
fordernisse der Publikation, nicht aber auch die der vorangehenden Akte einzuräumen *); allein
diese Ansicht beruht auf der hier nicht geteilten, weil für das deutsche Staatsrecht nicht als zu-
treffend bewiesenen Auffassung, als ob die Gesetzesausfertigung in unanfechtbarer Weise das ver-
fassungsmässige Zustandegekommensein des Gesetzes konstatiere. Nur da, wo das richterliche
Prüfungsrecht durch positive Verfassungsbestimmungen in weiterem Umfange ausgeschlossen ist,
wie in Preussen (Art. 106), Oldenburg (Art. 141 $2), Braunschweig ($ 100) und einigen anderen
Kleinstaaten, ist es beschränkt auf die Foımalien der Publikation. Über die Pflicht des Richters, die
Gültigkeit der Landesgesetze im Verhältnisse zu dem Reichsrechte zu prüfen, vgl. oben S. 286;
gegenüber kommen landesgesetzliche Beschränkungen des richterlichen Prüfungsrechtes nicht
in Betracht.
22. Abschnitt.
Die Verordnungen.
Von
Dr. Paul Schoen,
o. Professor der Rechte an der Universität Göttingen.
Literatur:
Arndt, Das Verordnungsrecht des deutschen Reiches auf Grundlage des preussischen (1884);
elbe, Das selbständige Verordnungsrecht (1902); Rosin, Polizeiverordnungsrecht in Preussen
e Autl, 1895); Gneist, Art. „Verordnungsrecht“ in v. Holtzendorffa Reohtslexikon IH S. 1059 ff.; Born-
. „Instruktion“ und „Verordnung“ in v. Stengels Wörterbuch des Verw.R. 1. „u
die oben S. 284 gen. Werke von Jellinek, Haenel (Stud. S.62ff.), Ansohütz, v. Seydel (Komm.
S. 138 ff.), sowie die daselbst gen. Lehrbücher des Staats- und Verw. Bas und zwar Laband, a. 0. 8 8
167 £f., 185 ff.; G.Meyeor, a. a. O. S. 549 ff., 570££.; Haonel, 28.2.0. 271ff.; Zorn, a.a.0. S,40L ff.,
481 flo; Arndt, &. 0. O. S. 199 £f.; Sohulze, 0.2.0.8. kr v Seydel, &. & 0. S. A SB
342 ff.; Loening, S. 228ff., 240; O.Mayer, a... 0. S. 67 ff., 91 f., 122 ff.
I. Der Begriff der Verordnung ergibt sich aus seiner Abgrenzung gegen die
Begriffe Gesetz und Verfügung.
l. Was den Gegensatz von Verordnung und Gesetz anlangt, so ist zu-
nächst zu beachten, dass, wie die herrschende Theorie für das konstitutionelle Staatsrecht
einen doppelten Gesetzesbegriff unterscheidet (oben S. 284), auch das Wort Verordnung in
zweifachem, in formellem und materiellem Sinne gebraucht und dann von formeller und
materieller Verordnung gesprochen wird. Unter Verordnung im formellen Sinne versteht man
im Gegensatze zum Gesetze im formellen Sinne eine eine abstrakte Norm aufstellende staatliche
Anordnung, die nicht im Wege der Gesetzgebung zustande gekommen ist, also ohne Mitwirkung
der Volksvertretung vom Träger der Staatsgewalt oder von diesem untergeordneten Organen des
4) SoLabanda.a. O0. S.39 ff. gherdeii Jellineka.a.0.8. 02 ff., Zorna.a. O. 8.418,
Ansohütz Enzykl. 8. 157, 158 166 u. a. gen bei G.Meyer, St.R. S. 631 ff,
Anm. 4, 5, 6