Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

308 Paul Schoen, Die Verordnungen. 
  
stimmt ist, der Bundesrat.) Auf Grund besonderer reichsgesetzlicher Ermächtigungen ist aber 
zur Ausübung des organisatorischen Verordnungsrechtes mehrfach der Kaiser berufen, dem die 
R.-Verf. selbst dieses bereits für ganze Verwaltungsgebiete, nämlich für die Post und Telegraphie, 
für die Kriegsmarine und, in gewissem Umfange, auch für dieVerwaltung des Landheeres (Art. 50, 53, 
63) übertragen hat. Zur Inkraftsetzung der organisatorischen Verordnungen, welche ledig- 
lich Interna des Verwaltungsbetriebes regeln, genügt, wie bei allen Dienstanweisungen, die Mit- 
teilung an die beteiligten Stellen im Verwaltungswege; soweit organisatorische Verordnungen 
dagegen in die Rechtslage der Untertanen eingreifen, bedürfen sie als Rechtsverordnungen einer 
Verkündigung, s. oben S. 296. 
3. Den Organisationsverordnungen verwandt sind die Anstaltsordnungen, auch 
Regulative, Reglements, Hausordnungen, Statuten genannt, die die innere Verwaltung der öffent- 
lichen (Staats- und Kommunal-) Anstalten (wie Post, Staatseisenbahnen, Schulen, Museen, Biblio- 
theken, Krankenhäuser, Sparkassen, Schlachthäuser u. a.) wie deren Benutzung durch das Publi- 
kum regeln. Der Erlass solcher Anstaltsordnungen steht den der betreffenden Anstalt vorgesetzten 
Behörden zu. Die Anstaltsordnung ist inhaltlich einmal Dienstanweisung für das Anstaltspersonal 
und bindet dieses aus seiner Dienststellung heraus. Sie ist aber nicht nur Dienstanweisung. Sie 
richtet sich auch an die Benutzenden. Allein auch soweit sie das Verhalten und die Ansprüche dieser 
normiert, ist sie, solange sie sich auf dem Boden des geltenden Rechtes bewegt, Verwaltungsver- 
ordnung. Sie greift nicht gebietend in die Rechtslage der Regierten ein, setzt vielmehr nur im 
Rahmen der geltenden dispositiven Normen die Bedingungen fest, unter denen Interessenten zur 
Anstaltsbenutzung zugelassen werden sollen. Diese Festsetzungen sind aber da, wo kein Zwang 
zur Benutzung der Anstalt besteht, für die Benutzer verbindlich, weil sie sich ihnen mit Inanspruch- 
nabme der Anstalt freiwillig unterworfen haben; wo aber ein Zwang besteht (Schulzwang, Post- 
zwang, Schlachthauszwang), der nur durch Gesetz eingeführt werden kann, da zwingt die gesetz- 
liche Norm, die zur Benutzung zwingt, zugleich zur Unterwerfung unter die Anstaltsordnung. Soll 
ineiner Anstaltsordnung der Boden des gemeinen Rechtes verlassen, z. B.dienach diesem bestehende 
Haftung der Anstalt ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, so bedarf es dazu gesetzlicher Er- 
mächtigung.!*) Die regulären Anstaltsordnungen, welche keine neuen Rechtssätze enthalten, be- 
dürfen als Verwaltungsverordnungen keiner Verkündigung im oben S. 289 angegebenen Sinne, 
jedoch ist jedem Interessenten die Möglichkeit zu geben, von ihrem Inhalte, wenigstens soweit er 
Rechte und Pflichten der Benutzer betrifft, Kenntnis zu nehmen, da sie jeden ergreifen, der die 
Anstalt in Anspruch nimmt. Sie werden daher regelmässig von vornherein durch Anschläge in 
der Anstalt, Veröffentlichungen in Zeitungen, Mitteilung beim Eintritte in die Anstalt und auf andere 
geeignete Weise den interessierten Kreisen bekanntgegeben. 
4. Ausführungs- oder Vollzugsverordnungen sind Verordnungen, welche 
der Durchführung eines Gesetzes dienen. Sie sind immer unselbständige Verordnungen in dem 
Sinne, dass sie an ein bestimmtes Gesetz anschliessen und auch in ihrer Existenz von dem Fort- 
14) Seine Zuständigkeit folgt aus Art.7 Ziff. 2 R.Verf. („Einrichtungen“) oder, wenn man mit Ansohütz 
Encykl. S. 163 annimmt, dass hier nicht unmittelbare Reichsorgane sondern einzelstaatliche Organe gemeint seien, 
was die Reichsbehörden anlangt, doch aus der allgemein für seine Zuständigkeit sprechenden Vermutung (oben 
S. 296). Ebenso im wesentlichen Zorn .a. a. O. S. 291; v. Seydel, Komm. S. 142; Arndt, Verordnunger. S. 155; 
Laband St.R. II S. 346 u. a. Anders dagegen bes. Loening a. a. O. S. 56 u. G. Meyer St.R. S. 603, die 
im Widerspruche mit Art. 7 Ziff. 2 R.Verf. dem Kaiser auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung eine 
Organisationsbefugnis beilegen. 
':) Eine solche gibt z. B. das Reichspostgesetz $ 50, auf Grund dessen dann die vom Reichskanzler er- 
lassene Postordnung (die Anstaltsordnung für die Post) unter anderem in $18 XX von den allgemeinen Grundsätzen 
über die Schadensersatzleistung abweichende Normen über die Haftung der Postverwaltung für Postauftragssen- 
dungen aufgestellt bat. Die weitverbreitete Meinung, als ob auch solche das geltende Recht abändernde Normen 
mit die Benutzer verbindender Wirkung ohne besondere gesetzliche Ermächtigung in die Anstaltsordnungen auf- 
genommen werden könnten, da es sich einfach um Formulierung der Vertragsbedingungen handle, ist falsch, 
weil die Benutzung öffentlicher Anstalten garnicht auf Grund von Verträgen erfolgt. Darüber besonders O. Mayer 
e. 0. O. II S. 319 326 ff., 330 ff.
	        
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