Paul Schoen, Die Verordnungen. 311
(vgl. oben S. 297 Ziff. VII, c); oder es ist sogar das Inkrafttreten der Polizeiverordnung der nie-
deren Behörde davon abhängig gemacht, dass die höhere die Verordnung bestätigt, oder doch
binnen bestimmter Zeit keinen Widerspruch gegen sie erhebt. Endlich findet das Polizeiver-
ordnungsrecht der Landesbehörden noch eine allgemeine Grenze an dem Reichsrechte, indem ihm
durch dieses d. h. durch Reichsgesetze oder Reichsverordnungen bereits mit Strafe bedrohte
Handlungen und Unterlassungen entrückt sind (Einf.G. z. Str.G.B. $ 2), und weiter auch dasReichs-
recht die Arten und das Maximum der in Polizeiverordnungen anzudrohenden Strafen bestimmt
hat (das. $ 5).
Was die zum Erlasse von Polizeiverordnungen ermächtigten Behörden
anlangt, so sind in den Einzelstaaten und ebenso im Reichslande gewöhnlich alle
mit der Polizeiverwaltung betrauten Behörden auch zum Erlasse von Polizeiverordnungen innerhalb
ihres Amtsbezirkes ermächtigt. Allerdings nicht überall in gleicher Weise. Während in den Mittel-
staaten die Landesherren und Minister gegenständlich in demselben Umfange ermächtigt sind,
Polizeiverordnungen zu erlassen, wie die mitteleren und unteren Polizeibehörden, stehen die
Gesetzgebungen Preussens und einiger norddeutscher Kleinstaaten (z. B. Braunschweig) wie auch das
in Elsass-Lothringen massgebende französische Recht auf dem Standpunkte, dass die von den
Zentralbehörden zu erlassenden Strafvorschriften in der Regel auf dem Wege der Gesetzgebung
gegeben werden sollen, und haben daher dem Landesherrn überhaupt keine Ermächtigung erteilt,
den Ministern — unter Verlsssung des sonst von ihnen anerkannten Grundsatzes der allgemeinen
Ermächtigung — nur wenige spezielle Delegationen. In manchen Staaten (Preussen, Hessen,
Württemberg, Baden u. a.) sind ausser den Polizeibehörden auch Organe der Selbstverwaltung
an der Ausübung des Polizeiverordnungsrechtes beteiligt, indem jene nur mit Zustimmung oder
doch nur nach Vernehmung gewisser Selbstverwaltungskollegien ihre Strafverordnungen erlassen
dürfen. Das Reich hat in seinen zahlreichen Delegationen bald den Kaiser, bald den Bundesrat,
bald den Reichskanzler oder andere Reichsbehörden (z. B. Marinestationschefs), bald auch die
Einzelstasten schlechthin oder bestimmte einzelstaatliche Behörden ermächtigt.
Alle Polizeiverordnungen bedürfen als Rechtsverordnungen der Verkündigung.
Diese ist gewöhnlich gesetzlich dahin geordnet, dass für die Polizeiverordnungen der höheren Po-
lizeibehörden die Bekanntmachung im Gesetzblatte oder im Regierungs- bezw. Kreisamtsblatte
vorgeschrieben ist, während die Regelung der Publikation der Polizeiverordnungen der niederen
Polizeiorgane den Aufsichtsbehörden dieser überlassen ist, die auch eine Bekanntmachung in be-
stimmten Organen der Tagespresse vorschreiben können.??)
6. Notverordnungen sind Verordnungen mit Gesetzeskraft (oben S. 295; auch ge-
setzvertretende Verordnungen genannt), die auf Grund verfassungsmässiger Ermächtigung vom
Staatsoberhaupte erlassen werden können in Fällen, in denen das Staatsinteresse schleunigst einen
Akt der Legislation fordert, dieser sich jedoch nicht so schnell, wie es nötig ist, herbeiführen lässt.
In den meisten deutschen Einzelstaaten mit monarchischer Verfassung sind diese Verordnungen
in dem Staatsgrundgesetze vorgesehen. 21) Das sog. Notverordnungsrecht der bayerischen Krons
jedoch, welchesnicht in der V sondern im bay: t.9
geregelt ist, ist kein Notverordnugsrecht in dem hier verstandenen Sinne. Es ist ledielich. ein
ausserordentliches Polizeiverordnungsrecht des Königs, das sich im Rahmen der bestehenden Ge-
setze zu halten hat (Art. 10 das.) und nur, was die Voraussetzungen und die Formalien seiner Aus-
übung anlangt, mit dem Notverordnungsrechte der anderen Einzelstaaten in Parallele zu stellen ist.
Überall ist für den Erlass einer Notverordnung gefordert, dass sie durch die Umstände dringend
geboten ist; ein Erfordernis, dessen Vorhandensein allerdings der Verordnungsberechtigte allein
nach freiem Ermessen zu beurteilen hat. Im übrigen ist das "Notverordnungsrecht wesentlich ver-
schieden in Preussen, Sachsen und den norddeutschen Kleinstaaten einerseits und in Württemberg
und Baden andererseits gestaltet, während das hessische Recht sich in der Mitte zwischen beiden
%) Vgl. z. B. das preuss. Landesverwaltungsges, 30. Juli 1883 $$ 140, 144 Abs. 2 und die Pol.Str.Ges.
Bücher ‚Bayerns Art. 11, Württembergs Art. 65, Badens Art. 27.
2) Die Verf, Urk, der freien Städte kennen kein Notverorduungarecht.