Ernst Beling, Strafrechtspfleg e. 361
anwaltschaftliche Amt diskreditieren, überdies das Forum geradezu mit Notwendigkeit zu einer
Stätte hässlichsten Parteikampfs machen. Nutzen hätte davon nicht die Gesamtheit, die vielmehr
daran interessiert ist, dass keine Märtyrer einseitigen Klageeifers der Behörden geschaffen werden,
und nicht der Beschuldigte.
4. Für die Stellung des Beschuldigten ist heute anerkannt, dass sie als die eines verteidi-
gungsberechtigten Subjekts, nicht als die eines Inquisitionsobjekts auszuprägen ist. Keine Aus-
sage-, geschweige denn Geständnispflicht. Gewährleistung voller, Selbstverteidigung wie einer
Verbeistandung durch Verteidiger. Diskutabel der Vorschlag, eine der Staatsanwaltschaft korre-
spondierende staatsamtliche Verteidigerschaft einzurichten.
5. Die grundsätzliche Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen bedarf heufe keiner Recht-
fertigung mehr. Seltsamerweise bestehen aber heute zum Teil unklare Auffassungen über die Kon-
sequenzen des Öffentlichkeitsprinzips. Es sind gelegentlich Verurteilungen von Zeitungsredak-
teuren wegen Beleidigung des Angeklagten erfolgt, wenn die Zeitung wahrheitsgemäss über Vor-
gänge der Verhandlung (insbesondere über Zeugenaussagen mit einem dem Angeklagten ungünstigen
Inhalt) berichtet hatte. Das ist mit dem Öffentlichkeitsprinzip unvereinbar, denn dieses ordnet
gerade ausgesprochenermassen zahlreiche Interessen, darunter in erster Linie das Ehrinteresse des
Beschuldigten, dem Interesse am Einblick der Allgemeinheit in die Vorgänge der Verhandlung
unter. Unter dem Gesichtspunkt der Beleidigung kann deshalb die Übermittelung der Kenntnis
von den Vorgängen an die Öffentlichkeit zum mindesten nicht rechtswidrig sein. Ob die Freiheit
der Zeitungsberichterstattung, die ja unzweifelhaft auch eine unerfreuliche Seite hat (Sensations-
presse), durch Rechtsmassregeln beschnitten werden soll, mag hier auf sich beruhen bleiben; jeden-
falls sollte nicht übersehen werden, dass die Verkürzung dieser Freiheit das Öffentlichkeitsprinzip
einschneidend berührt.
6. Von den zahlreichen Problemen auf dem Gebiete des Beweisrechts interessiert hier nament-
lich die Frage nach den Beweisverboten: Verbot des Hineinleuchtens in das Privatleben von Zeugen,
Zeugnisweigerungsrechte von Abgeordneten, Redakteuren, Beamten, Schutz der Behörden und
Parlamente vor Aufdeckung gewisser Tatsachen. Für die Würdigung dieser Fragen wird zunächst
die Feststellung massgebend sein, dass, wenn Tatsachen infolge solchen Beweisverbots zweifelhaft
bleiben, nach dem heute feststellenden Grundsatz „in dubio pro reo“ eine dem Beschuldigten
günstige Entscheidung zu erfolgen hat, alle diese Beweisverbote also das Staatsinteresse, das für
den Strafprozess charakteristisch ist, zu schädigen vermögen. Es wird also stets darauf ankommen,
ob diese Schädigung lieber in den Kauf genommen werden soll, als eine Verletzung der entgegen-
stehenden Privat- und Staatsinteressen. Offenbar sollte bei solcher Abwägung die Schwere der betr.
Strafsache ein gewichtiges Wort mitsprechen.
7. In ähnlicher Weise wird auch die Erstreckung oder Begrenzung des prozesspolizeilichen
und des Sicherungszwangs (Untersuchungshaft, Beschlagnahme, Durchsuchung) je nach der Schwere
der Strafsache abzustufen sein.
8. Die Einrichtung des Vorverfahrens ist heute in besonders hohem Masse strittig. Das Ziel
der Entwickelung muss sein, das Vorverfahren als reines Selbstinformationsverfahren der Staats-
anwaltschaft auszuprägen (dadurch auch Verminderung des Schreibwerks!), derart, dass das
erkennende Gericht die Vorverfahrensakten nicht in die Hand bekommt. Dem Bedürfnis sachge-
mässer Leitung der Hauptverhandlung wäre dann am besten dadurch zu genügen, dass die Staats-
anwaltschaft veranlasst würde, ihre Anklageschrift in ähnlicher Weise, wie eine zivilprozessuale
Klageschrift, also mit detaillierten Tatsachenanführungen unter Bezugnahme auf Beweismittel abzu-
fassen; eventuell so, dass der Vorsitzende die Vorverfahrensakten erhielte, aber an der Urteils-
fällung nicht teilnähme.
B. Politik der Praxis.
Soll die Strafprozessgesetzgebung auch darauf bedacht sein, das Dürfen und Müssen der
Staatsorgane tunlichst exakt zu umreissen, so bleiben doch zahlreiche Sachlagen übrig,
für die das nicht möglich ist, wie auch die Art und Weise des behördlichen Handelns in weitem Um-