Friedrich Oetker, Schwurgericht und Schöffengericht. 71
Schöffengerichte vorgeschlagen hatte) bleiben den Einzelrichtern. An der Berufungsgerichtsbar-
keit, die in unserem Sinne nur in Übertretungssachen besteht, werden Schöffen nicht beteiligt.
Nach dem Schöffenprinzip gebildete Gerichte bestehen in Norwegen (1887; für Übertre-
tungen u. leichtere Verbrechen 1 Berufsrichter, 2 Schöffen); in Bosnien-Herzegowina (1891; Be-
zirksamt: 1 Richter, 2 Schöffen; Gerichtshof: 3 Richter, 2 Schöffen); in Tessin (1895).
Die gemischten Gerichte in Serbien (seit 1871, 1892/94) und Bulgarien (1897; Kreisgericht,
soweit es mit Zuziehung von „Beisitzern‘ entscheidet) sind nicht echte Schöffengerichte, sondern
modifizierte Schwurgerichte nach sächs. Muster (Entscheid der Schuldfrage durch Richter und
Beisitzer gemeinsam, der Straffrage nur durch die Richter).
In Norwegen ($$ 400 fg.) können durch Antrag auf erneute Verhandlung (nicht „Berufung“
im techn. S.) Sachen, in denen ein Schöffengericht (oder Verhörsgericht) entschieden hat, vor das
Schwurgericht gebracht werden.
Schöffengerichte (2, 4 Beisitzer) sind auch die deutsch. Konsular-Strafgerichte gemäss $$ 8
bis 12 Kons.-Ger.-Ges. 7. 4. 1900.
Den Charakter von Schöffengerichten haben endlich die Kriegsgerichte, Ober-Kriegsgerichte
und das Reichsmilitärgericht nach R.-Milit.-Strafger.-Ordng. 1898 (zusammengesetzt aus jurist.
Mitgliedern u. Offizieren; z. T. starke Abweichungen von den bürgerl. Schöff.-Gerichten). Diese
Schöffeninstitution erstreckt sich auf die Berufungs- und Revisions-Instanz.
YIII. Die Schöffen haben das Richteramt nur für die Hauptverhandlung — vorher und
nachher erforderliche Entscheidungen erlässt der Richter allein —, für diese aber nach Reichsrecht
(von geringfügigen Ausnabmen abgesehen) auch in vollem Umfange, so dass auch die dem Urteil
vorgängigen prozessualen Entscheidungen von ihnen mitgefällt werden (anders früher Sachsen,
Oldenburg). Mag immerhin das Laienverständnis prozessrechtlichen Fragen öfters nicht gewachsen
sein, so werden doch verständige Schöffen gerade hierin dem Richter willig folgen, während die
Mitbestimmung der Beweiserhebung, über deren Ergebnisse sie zu urteilen haben, ihnen füglich
nicht entzogen sein kann. Den Vorsitz hat der Richter; die Schöffen stimmen nach Reichsrecht
(anders früh. deutsche Ges.) vor ihm ab, im Interesse ihrer Selbständigkeit, nachdem in der vor-
gängigen Beratung der Berufsrichter Gelegenheit hatte, seine Auffassung zu entwickeln. Ent-
sprechend österr. E.
Auch in der Mittelstufe müssen die Schöffen die Mehrheit haben (anders früher Württem-
berg). Andernfalls sind sie blosse Figuranten und der gesetzliche Zweck der Schöffeninstitution,
eine von der Billigung des Volkes getragene, von schablonenhafter Beweisbeurteilung und Straf-
bestimmung freie, das öffentliche Rechtsbewusstsein befriedigende und fortbildende Strafrechts-
pilegs zu schaffen, bleibt unerfüllt. Zu tadeln der österr. E., der gleichviel Richter und Schöffen
eruit.
Über Schuld- und Straffrage wird nach Reichsrecht im Anschluss an die Beweisaufnahme
und nachdem die Parteien zu beiden Fragen in ungetrenntem Vortrage gehört worden sind, in
einem Urteilsakt entschieden. Die Vereinfachung der so gestalteten Hauptverhandlung gegenüber
dem schwurgerichtlichen Hergange leuchtet ein; doch könnten ein vorangestellter blosser Schuld-
entscheid und entsprechende Gliederung der Partei-Vorträge diese übersichtlicher, wirksamer ge-
stalten und von Eventualitäten befreien. Österr. $ 256 (für nicht-schwurgerichtliches Verfahren)
ermöglicht getrennte Behandlung von Schuld- und Straffrage (so auch früher Braunschweig; ähn-
lich ottoman. St.P.O. 1879 $$ 290 fg.). Ebenso österr. E. $ 256.
. IK. Im Interesse möglichst gleichmässiger Verteilung des Schöffendienstes auf die Be-
fühigten und zur Vermeidung jeder Willkür in der Gerichtsbesetzung werden nach deutschem Rechte
der Justiz je für ein Geschäftsjahr eine bestimmte Zahl Pflichtiger — die Jahresliste der
Schöffen — zur Verfügung gestellt und vor Beginn des Geschäftsjahres durch Auslosung aus
dieser Liste die Schöffen auf die im voraus bestimmten Sitzungstage des Jahres verteilt.
Die Urlisteist dem Schöffen- und Schwurgericht gemeinsam. Die Jahresliste der Schöffen ent-
steht durch Wahl aus der Urliste seitens eines jährlich beim Amtsgericht zusammentretenden Ausschusses, der
zugleich die Gesohworenen vorzuschlagen hat (es. unter VI), nach vorgängiger Prüfung der Urliste und Entscheidung
24*