W. von PRlume, Bedentung und Aufgaben der Parlamente. Parteibildung. 379
nicht eine Pflicht des Beamtentums zur Rechenschaftslegung gegenübersteht. Diese Er-
kenntnis hat in den nicht vom Parlament regierten Staaten die Forderung der „Minister-
Verantwortlichkeit" gezeitigt. Ein sehr unvollkommener Ausdruck eines richtigen Gedankens!
Denn nicht darauf kommt es an, dass das Parlaınent in der Lage ist. einen Minister wegen
Bruches der Verfassung in Anklagezustand zu versetzen, sondern darauf, dass ihm die
Möglichkeit gegeben ist, den Gang der Staatsgeschäfte ständig zu beobachten und vor-
kommende Fehler zu rügen.
Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass die parlamentarische Kontrolle, wenn sie
engherzig ausgeübt wird, einen lähmenden Einfluss auszuüben vermag, dass sie daher an
Stellen und zu Zeiten, wo es auf schnelles und entschlossenes Handeln ankommt, unbedingt
ausgeschaltet werden muss. Es wird eben auch hier nicht auf die Gestaltung des Rechtes
allein, sondern auch und ganz besonders darauf ankommen, in welchem Sinne es ausgeübt
wird. Immerhin wird es förderlich sein, wenn die eigentliche Aufgabe des Parlamentes klar
erkannt und scharf betont wird. In diesem Sinne wollte die Stein’sche Städteordnung
($ 126) das Recht der Stadtverordneten-Versammlung gestalten, in diesem Sinne wird das
Recht des Parlamentes entwickelt werden müssen, wenn der parlamentarische Gedanke zur
vollen Geltung kommen soll.
Es fragt sich aber, ob überhaupt noch mit einer Fortentwicklung der Grundgedanken
des Parlamentarismus gerechnet werden kann, da eine vielvertretene pessimistische Auf-
fassung einen allgemeinen Niedergang des Parlamentarismus feststellen zu können glaubt.
Was ist davon zu halten?
Unbestreitbar ist, dass die Idee der Beteiligung der Regierten an der Regierung einen
Siegeszug über die ganze Erde angetreten hat. Waren es bis gegen das Ende des vorigen
Jahrhunderts nur die europäischen und die von Europa aus besiedelten Staaten, die ihn
aufgenommen hatten, so sind seitdem halb-asiatische und ganz-asiatische Staaten in grösserer
Zahl gefolgt: Japan, Russland, die 'Türkei, Persien haben Volksvertretungen erhalten und
selbst im Reich der Mitte beginnt der konstitutionelle Gedanke Wurzel zu fassen. Darf
nun auch nicht geleugnet werden, dass die Einrichtungen, die er gezeitigt hat, vielfach auf
sehr unsicherem Boden stehen und schon durch leichte Erschütterungen umgestärzt werden
können, ja, dass manche Parlamente nur eine Karikatur des parlamentarischen Gedankens
darstellen, so ist doch unverkennbar, dass die parlamentarische Bewegung räumlich in ent-
schiedenem Vorrücken begriffen ist.
Fragt man ferner, ob das Parlament an Macht zu- oder abgenommen habe, so wird
zunächst zu unterscheiden sein zwischen der rechtlichen Stellung und dem tatsächlichen
Einfluss, den das Parlament ausübt. Alsdann wird die Antwort nicht absolut, sondern
relativ zu geben sein, indem nämlich die Macht des Parlaments mit den anderen im Staate
wirksamen Mächten verglichen wird.
Als Gegengewicht des Parlaments kommt zunächst die „Regierung“ in Betracht, will
sagen: der nichtparlamentarische Faktor der Regierung. Wo dieser parlamentarisch gebildet,
ah. in seiner Zusammensetzung ganz oder teilweise vom Parlament abhängig ist, da ist für eine
weitere Ausbreitung der Macht des Parlaments ihm gegenüber kaum noch Raum vorhanden.
Was aber den tatsächlichen Einfluss betrifft, so wird es wesentlich darauf ankommen, welche
Persönlichkeit sich in der Regierung neben dem Parlament zur Geltung bringt — die Re-
gierung König Eduards VII. von England bietet nach dieser Richtung des Lehrreichen
enug. In den nicht-parlamentarisch regierten Staaten, zumal in Deutschland, ist ein Wachsen
des rechtlichen Einflusses der Parlanıente in der Gegenwart kaum zu bestreiten. Für
Deutschland wird er von Laband’s Autorität (Jahrbuch d. öffentl. Rechts OH, 26) bezeugt.
Aber einen verfassungsmässigen Niederschlag von grösserer Bedeutung hat diese Strömung
nicht gefunden, und, was die tatsächliche Geltung des Parlaments betrifft, so wird diese durch
die Entwicklung der Parteiverhältnisse in Deutschland zweifellos nicht günstig beeinflusst.
Der zweite Machtfaktor, der dem Parlament gegenübersteht, ist die nicht selten kurzweg
„das Volk“ genannte Wählerschaft. Ihr legitimes Verbältnis zum Parlament wird durch