Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

54 Hans v. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 
  
fahrt zu befördern... .‘‘ Und dieses Prinzip führt Wolffim einzelnen durch. Die Regierungs- 
gewalt, die, wie er ausdrücklich sagt,?!) „nichts anderes ist, als patrimoniale Gewalt, besitzt die 
unbeschränkte Macht, nach freiem Ermessen, das allgemeine Beste zu verwirklichen“. Wie weit 
der Verfasser in dieser Richtung geht, mögen einige Beispiele aus seiner Politik zeigen. 
So sagt er:®) „Da man zur Nothdurfft des Leibes Speise, Tranck und Kleidung 
brauchet, auch ein jeder verbunden ist, bey Nahrung und Kleidung sich nach seinem 
Stande zu richten; so hat man nicht allein zu veranstalten, dass ein jeder alles das- 
jenige für einen billigen Preiss haben kan, was er zu seiner Nahrung und Kleidung brauchet, 
sondern auch darauf acht zu haben, dass sich niemand weder in Essen und Trincken, 
noch in Kleidung über seinen Stand erhebe..... “ An einer andern Stelle heisst es: ®) 
„Man soll im gemeinen Wesen die Glückseligkeit der Menschen befördern und dannenhero alles 
verhüten, was Misvergnügen erwecken kan. Weil nun alles, was unbequem ist, Misvergnügen 
bringet; hingegen, was bequem ist, wo nicht Vergnügen gewehret, doch Misvergnügen verhütet, 
wie ein jeder leicht bey sich selbst erfähret, so muss man auch im gemeinen Wesen für alle Be- 
quemlichkeit sorgen sie mag Nahmen haben, wie sie will... .‘“ Ferner:) „Wenn die Lust der 
Sinnen so gebrauchet wird, dass sie keinen Verdruss nach sich ziehet, so kan sie mit zur Glückselig- 
keit des Menschen gerechnet werden. Und diese ist es eben, welche man eine unschuldige Lust zu 
nennen pfleget. Man hat demnach im gemeinen Wesen davor zu sorgen, dass man-seine Sinnen zu 
belustigen Gelegenheit findet; aber doch auch zu verhüten, dass diese Lust nicht gemissbrauchet 
werde. Zu dem Ende sind Künstler nöthig, welche dergleichen Wercke verfertigen, die unsere 
Sinnen belustigen können, oder auch selbst sie zu belustigen geschickt sind. Man muss Örter en- 
legen, da man zu einer unschuldigen Lust Gelegenheit findet; auch Zeiten bestimmen, da man ohne 
Nachtheil anderer nöthigen Verrichtungen dergleichen geniessen kan.‘ Dies wird dann vom Ver- 
fasser noch näher ausgeführt. Z. B. schlägt er vor, um das Auge zu „belustigen“, Bilder von guten 
Freunden aufzuhängen, weil „dadurch der Affekt der Liebe und zwar einer unschuldigen Liebe in 
unser Hertz gepräget‘ wird. „Hingegen wenn man sich an einem nackenden Bilde belustiget...... 
80 ist es eine schädliche Lust‘ und deshalb muss der Staat verbieten, „solche Bilder zu verfertigen 
oder im Zimmer aufzuhängen.‘*) Springbrunnen, Theater u. dergl. müssen zur weiteren „Belusti- 
gung‘ der Augen vom Staat errichtet werden. Zur Belustigung der Ohren dienen unter anderm die 
„Poeten‘, die jedoch unter besondere Aufsicht zu stellen sind, „dass sie nicht durch verliebte und 
unzüchtige Verse gute Sitten verderben“. In gleicher Weise hat der Staat für angenehme Reizung 
aller Sinnesorgane zu sorgen, immer einerseits positiv durch Erwecken angenehmer Eindrücke, 
andrerseits negativ durch Hintanhaltung unangenehmer und gefährlicher. Wolff empfiehlt 
„Anstalten für guten Geruch‘‘®) und macht die Parfümierung der Handschuhe und Perücken 
zur Staatsangelegenheit, ebenso wie die Auswahl der Speisen und Getränke, „welche nicht nur zur 
Notbdurfft des Lebens, sondern auch zur Vergnügung genossen werden“, wobei der Staat sein 
Augenmerk besonders darauf zu richten hat, „dass nicht eine Delikatesse in ausländischen Speisen 
gesuchet wird, die nur in der blossen Einbildung bestehet: indem dadurch ohne Noth viel Geld aus 
dem Lande kommet.‘’”) 
Die staatliche Fürsorge hat also bei Wolff keine Grenze; unter dem Deckmantel der 
Wohlfahrtsförderung kann der Staat jeden Eingriff in die Freiheit des Individuums vornehmen, 
wobei es ihm auf das Wohl oder Nichtwohl des Einzelnen gar nicht ankommt. Vieles von dem, was 
Wolff vorschlägt, ist heute tatsächlich zu staatlicher Tätigkeit geworden, aber der heutige Staat 
treibt keinen solchen Missbrauch mit dem Wohlfahrtszweck; Wolffs Wohlfahrtstheorie 
enthält eine völlige Vernichtung der individuellen Freiheit. 
81) 55 268, 435. 
>) 5 384
	        
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