60 Hansv. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung.
Von Nationalökonomen, welche die Frage nach dem Staatszweck berühren, seiv. Philip-
povich erwähnt.) „Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, der eigenen Macht im Innern und
nach Aussen, Förderung der Kultur und Wohlfahrt“ sind die Betätigungsgebiete des Staates, und
hier sind auch seine Aufgaben zu suchen. Der Verfasser weist besonders Auf die enge Berührung
hin, die zwischen den wirtschaftlichen Verhältnissen und allen übrigen Äusserungen des mensch-
lichen Lebens besteht und immer bestanden hat, so dass der Staat : stets auch diese Verhältnisse
mittelbar oder unmittelbar beeinflusst.
5. Objektiv-partikulare Zwecktheorien.
Als überwunden können heute die objektiv-partikularen Zwecktheorien angesehen werden.
Wenn man für einen einzelnen Staat einen ihm spezifischen, von der Geschichte zugeschriebenen
Zweck aufstellt, z. B. für das Römerreich Eroberung und die Ausbildung des Privatrechts”), so
greift man politische oder geschichtliche Tatsachen heraus und verwechselt dies mit Zwecken. Das-
selbe ist der Fall, wenn man auch heute noch gelegentlich von der „historischen Mission‘ eines
Staates spricht. Derartige Spekulationen haben im Rahmen moderner Forschung keinen Raum.
6. Die Organtheorie.
Endlich ist noch die Theorie zu erwähnen, die sagt, der Staat trage seinen Zweck in sich.
Zu diesem Ergebnis müssen notwendig die Vertreter der Organtheorie kommen, wenn sie
die naturwissenschaftliche Analogie konsequent zu Ende denken; für sie ist die Frage nach dem
Zweck des Staates ebenso unsinnig wie die nach dem Zweck der Eidechse. Die Theorie behauptet
damit nichts weniger als die Zwecklosigkeit des Staates. SocSchelling”) Adam Müller”)
und viele andere.’) Wie die Anfänge der Organtheorie überhaupt lässt sich auch die von ihr ab-
hängige Zwecktheorie bis ins Altertum zurückverfolgen.®)
Geleugnet wird der Staatszweck auch von einer bestimmten politisch gefärbten Literatur
zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als deren Vertreter und Führer C. L. von Haller“) gelten
kann. Er sagt, die Staatsdefinitionen hätten alle den Fehler, dass sie einen erdichteten gemein-
samen Zweck der Staaten annehmen, während die Staaten als solche gar keinen gemeinschaft-
lichen Zweck hätten; es existiere nur eine Menge sehr verschiedenartiger Privatzwecke. Jellinek
weist darauf hin,°) dass sich unter der Hülle dieser Theorie eine konservativ-reaktionäre Ansicht
verbirgt, die jede unbequeme Kritik des Bestehenden abwehren und die Verbreitung revolutionärer
Ideen verhindern will. —
Bisher wurden die einzelnen Theorien erörtert, ohne dass auf ihre Fehler näher eingegangen
wurde. Nun scheint mir noch, bevor ich auf die der modernen Staatsauffassung entsprechende
Zwecktheorie eingehe, eine kurze Kritik der wichtigsten der besprochenen Lehren angezeigt.
$ 3. Kritik der wichtigsten Theorien.
Die Wohlfahrtstheorie, so schön sie auf den ersten Blick erscheint, erweist sich bei näherer
Prüfung als praktisch undurchführbar, weil sie dem Staate Aufgaben stellt, die er mit den ihm zu
Gebote ı stehenden Mitteln nicht lösen kann. Sie stammt aus einer Zeit, in der man sich über die
Grenzen der Staatsmacht noch nicht genügend Rechenschaft gab. So einfach es auch klingt: der
’5) Allgemeine Volkswirtschaftsichre. Handbuch des öffentlichen Reohts. Einleitungsband III. S. 87 f.
’e, Vo gralt, Die Systeme der praktischen Politik II. (1828) S. 221. Vergl. Montesquieu,
L’esprit, dos lois, XI.
) Vorlesungen” über die Methode des akademischen Studiums (1803) X. Vorlesung am Schluss).
’®) Elemente der Staatskunst (1809) I. S.66 ff. Mü l ler definiert den Staat als „die Totalität der mensch-
lichen Angelegenheiten, ihre Verbindung zu einem lebendigen Ganzen“ und sagt von ihm, „er dient allen gedenk-
baren Zwecken, weil er sich selbst dient.“
”®) Weitere Literatur biMurhard,a.a.O. 8.312 ff. — Unklar: Eso her: Handbuch der praktischen
Politik I. S. 37 f£
®) Vergl. Murhard,a. a. O, S. 306 ff.
“) Restauration der Staatswissenschaften L 17. Kap. S. 470.
®) Allgemeine Staatslehre, S. 2.