Adolf Wach, Reform des Rechtsunterrichts. Vorbildung des Juristenstandes. 147
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leistet mit der Ausbildung nach traditioneller Schablone. Aber die Kritik derselben kann
um deswillen nicht schweigen, ebensowenig wie die Erträglichkeit eines Zustandes uns von
seiner Verbesserung abhalten wird.
Man darf die Unvollkommenheit unseres Bildungssystems nicht im Stoff suchen.
Das Arbeitsfeld des Juristen ist die Welt. Er soll das „nihil humanı mihi alienum“ von sich
sagen. Denn das Recht ergreift alle Lebensverhältnisse. Aber Allwissenheit ist nicht von
dieser Welt; wer sie erstrebt, ist ein Narr oder bleibt ein Dilettant. So wenig vom Arzt,
Chemiker, Elektrotechniker oder Bankbeamten juristische Bildung erwartet wird, darf man
vom Juristen die Kenntnisse jener Berufskreise fordern. Wir lehnen den „Wirklichkeits-
juristen“ ab, der sich überall Fachkenntnis zuschreibt. Hier hilft der „Sachverständige“,
wenn auch der Jurist, mag er richten, regieren, fremdes Recht als Anwalt wahren, immer
bemüht sein soll, mit offenem Auge durchs Leben zu gehen, überall das Leben erfassend.
So können „Wirklichkeitsstudien“ im wirtschaftlichen, gewerblichen, technischen, künstlerischen
Leben nicht in den Bereich der juristischen Ausbildung einbezogen werden. Diese hat ein
doppeltes Ziel, von dem wir uns nichts abmarkten lassen: das verständnisvolle Aneignen
des Rechts und die Charakterbildung, die Bildung der Persönlichkeit, der das Recht Lebens-
luft, Rechtsbeugung Verbrechen, das Rechtsgebot der oberste irdische Wille ist. Der Rechts-
stoff ist das geltende Recht in durch den Lehr- und Lernzweck bestimmter Begrenzung.
Ueber diesen Punkt wird unten zu sprechen sein. Hier muss betont werden, dass „ver-
ständnisvolles Aneignen” nicht ein nur gedächtnismässiges bedeutet, denn Kennen ist vom
Verstehen des (Gesetzes weit entfernt; und das Aneignen, sich zu eigen Machen voll-
zieht sich nicht nur durch den Intellekt, das lediglich logische Operieren mit dem Gesetz;
denn Richten ist nicht „Rechnen mit Begriffen“, das Gesetz kein Turngerüst des Verstandes,.
Das Recht ist Lebensgebot, sein Inhalt das Gute, soweit es sich zur allgemeinen Norm
eignet, seine Anwendung die Emanation dieses Willens, der Gerechtigkeit, die im Gesetz
lebt. Daher nennen die Römer die Jurisprudenz die ars boni et aequi, ein Können, das
seine letzte Wurzel im rechtlichen Empfinden und Wollen hat. Solche verständnisvolle An-
eienung des Rechts, die zu seiner heilsamen Anwendung und seiner Fortentwicklung be-
fähigt, macht den Juristen. Sie beibt sein Lebensziel und der für die Aus- und Vorbildung
massgebende Gedanke — alles andere führt zur Verbildung oder Verkümmerung. Damit
ist unser juristisches Ausbildungssystem zur Frage gestellt.
II.
Der Zustand.
Die Jurisprudenz ist für uns keine freie Kunst. Sie wird auf staatlichen Lehranstalten
wissenschaftlich gepflegt und gelehrt, bei den staatlichen Behörden im Vorbereitungsdienst
erlernt, und auch dann, wenn sie, wie in der Anwaltstätigkeit, nicht Amtsinhalt ist, durch
öffentliche Prüfungen kontrolliert. Aus solcher offizieller Schulung und Kontrolle gehen
unsere Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Regierungsbeamte hervor. Durch eine Schluss-
prüfung wird die Qualifikation zu diesen Berufen erwiesen, m. a. W. festgestellt, dass der
Novize des Rechts das Mass juristischer Ausbildung erreicht hat, welches ihn zu selbst-
ständiger Ausübung solcher Funktionen befähigt. — Davon ist auszugehen und dabei hat’s
zu bleiben.
Nun zerfällt die Rechtsschulung in den Universitätsunterricht und den Vor-
bereitungsdienst. Nach Reichsgerichtsverfassungsgesetz $ 2 hat der ersten juristischen
Prüfung ein mindestens dreijähriges Studium der Reehtswissenschaft vorauszugehen, von dem
mindestens drei Semester auf einer deutschen Universität verbracht werden müssen. Der
Landesgesetzgebung steht es frei, die dreijährige Studienzeit zu verlängern. Der dreijährige
Vorbereitungsdienst findet bei den Gerichten und Rechtsanwälten statt und kann kraft
Reichsrechts zum Teil bei der Staatsanwaltschaft verwendet werden, wie nach Landesrecht
die Dienstzeit verlängert und zum Teil, aber nicht über ein Jahr hinaus, in der Verwaltung
verbracht werden darf. 10*