Philipp Zorn, Die Idee des ewigen Friedens.
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auf alle Fälle jeder Art anwendbaren Schiedsgerichtsvertrag, was in keiner Weise der Fall ist; wäre
dies aber der Fall, dann ist der Schiedsgerichtsvertrag ein Bündnisvertrag. Von englischer und
französischer Seite ıst eine autorıtative Erklärung über den Kernpunkt der mit den Vereinigten
Staaten beabsichtigten Schiedsverträge nicht bekannt geworden. Der amerikanische Senat
hat inzwischen den Verträgen eine Form gegeben, die selbst den Schein des vorbehaltlosen
Obligatoriums beseitigte, somit als Ablehnung zu betrachten war und auch betrachtet wurde.
Ill. Die Idee des ewigen Friedens
So bleibt bei der Betrachtung dieser grossen Probleme des internationalen Lebens immer
ein ungelöster Rest; mag man ıhn „nationale Politik’ oder „Ehrenklausel” nennen, es ist im
letzten Ende immer der gleiche Gedanke: de Souveränetät des Staates.
1. Die Idee, dass die Menschheit einmal friedlich wıe ım Paradiese neben einander wohnen
und dass die Unterschiede der Völker und Staaten sıch einmal auflösen werden in der Einheit der
Menschheit, existiert heute höchstens noch ın den Köpfen weltfremder, religiöser oder humanitärer,
Schwärmer. Insbesondere darf man die weitverbreitete Bewegung des Pazifismus nicht mit jenem
Vorwurf als naive Schwärmerei abtun wollen. Das wäre unrichtig und ungerecht.
2. Vielmehr hofft man die Beseitigung des Krieges durch eine „OÖrganisationder
Welt’ zu erreichen. Das ıst kein neuer Gedanke. Auch Kant war sıch darüber klar, dass sein
Wunsch des ewigen Friedens nur auf der Grundlage der vorherigen Erfüllung jener Voraussetzung
möglich sei. Und der erste bedeutende Vertreter dieses Gedankenkreises, der französische Abbe
Saint Pierre, hatte ebenfalls bereits diese Erkenntnis. Und das Amt des Papstes als des von Gott
verordneten arbıter mundi beruhte auf der Organisation der gesamten Christenheit durch das kano-
nısche Recht und der arbiter wandelte sich auf dieser Grundlage zum judex mundi.
Aber wenn heute der Pazifismus sich auf diese Grundlage stellt, kann er mit vollem Recht
darauf verweisen, dass heute die Voraussetzungen ganz andere seien als zu den Zeiten von Saint
Pierre und selbst Kant. Post, Telegraph, Eisenbahnen, Dampfschiffe haben den Raum der christ-
lichen Welt klein gemacht; in Millionen von Menschen und Milliarden von Werten, die über die
Staatsgrenzen fluten, stehen die Staaten und Völker heute in täglichem und stündlichem Verkehr;
zahllose Staatsverträge über die verschiedensten Dinge regeln diesen Verkehr und für weite Gebiete
dıeses Verkehres ıst in den letzten Jahrzehnten in raschem Vorausschreiten an die Stelle der Verträge
einzelner Staaten der grossartige Gedanke der Weltverträge und der durch sie geschaffenen
Weltunıonen getreten. Und ein aufmerksamer Beobachter dieser gewaltigen Bewegung
wırd keinen Zweifel hegen, dass diese Bewegung noch lange nicht zum Stillstand gekommen ist.
Und den Rechtsnormen dieser internationalen Evolution fehlt auch die organisatorische Durch-
führung nicht, deren bedeutsamstes Werk bis jetzt das ständige Haager Schiedsgericht ist.
All das ist richtig und dass diese Evolution noch lange nicht abgeschlossen ist, ist ebenso
zweifellos und wohin dies führen wird, ist nicht auch nur mit einiger Sicherheit zu bestimmen,
Dass beı diesem Stand der Dinge der Gedanke der ‚Organisation der Welt“ mit neuer Gewalt
hervorgetreten ıst und nicht nur von den Sozialdemokraten als Bestandteil des Parteiprogrammes
sondern von Männern wie d’Estournellesin Frankreich und Schücking in Deutschland
als Ziel einer vielleicht nahen Zukunft vertreten wird, ist wohl begreiflich.
3. Und dennoch muss trotz aller Fortschritte der Menschheit in bezug auf den Gedanken
der Organisation der Welt auch heute noch im letzten Ende die Kritik des ‚Weltbundesstaates‘“
dıe gleiche sein wie zurzeit von Saint Pierre und Kant. Diestaatlichen Sonderauf-
gaben dereinzelnenVölker sind noch nicht im entferntesten soweit gelöst, dass an ıhre
Stelle eine internationale Organisation treten könnte. Dies gilt selbst für diejenigen Völker, dıe
wie England und Frankreich, Dank der Gunst ihrer Geschichte, oder wie die Vereinigten Staaten
von Nord-Amerika, Dank des bei der Staatsgründung bereits vorhandenen grossen Kulturkapıta-
les fremden Ursprungs, in der Lösung der Staatsaufeaben den weitesten Vorsprung haben; für
Russland wird es niemand bezweifeln; in Österreich-Ungarn sind die innerstaatlichen Probleme