308 I. Der exekutive Kriminalbeamte.
Beim ersten Angriffe der Sache steht der exekutive Kriminalbeamte meist
allein, einzig auf sich selbst angewiesen. Er muß sich eine Vorstellung
davon machen, wie der Vorfall sich wohl in Wirklichkeit zugetragen haben
kann. Er muß unter den sich ihm nach Lage der Sache aufdrängenden oder von
Zeugen vorgetragenen Vermutungen die richtigen auswählen und verfolgen. Schlägt
er eine falsche Fährte ein, so kann sich der ganze Beweis in nie gutzumachender
Weise verwischen. Er muß öfter mehrere Spuren nebeneinander verfolgen. Wenn
der Staatsanwalt die Anzeige in die Hände bekommt, läßt es sich für diesen schon
leichter arbeiten. Er findet ein Geständnis vor oder einen Indizienbeweis, den er
vielleicht nur in der einen oder anderen Einzelheit nachzuprüfen braucht. In zweifel-
haften Fällen sieht der Staatsanwalt, in welchen verschiedenen Richtungen bereits
erörtert worden ist, und wird dann leicht auf einen etwa noch nicht eingeschlagenen Weg
kommen. Ein bewährtes Mittel, in eine dunkle Angelegenheit Licht zu bringen,
bietet dem Staatsanwalt die persönliche und mündliche Aussprache mit dem er-
örternden Kriminalbeamten. Hierbei kann er allerhand Einzelheiten und Nüancen
des Sachverhaltes erfahren, die sich bei der Beschleunigung, mit welcher Kriminal-
sachen bearbeitet werden müssen, nicht alle in der schriftlichen Anzeige niederlegen
oder andeuten lassen. Der Staatsanwalt erhält ein unmittelbares Bild von dem
Vorgang. Der mündliche Vortrag des Kriminalbeamten kann ihn auf neue Gedanken
bringen, kann die Vermutung zum Verdacht, den Verdacht einer Schuld zur Ueber-
zeugung verstärken. Die Charaktere von Zeugen und Beschuldigten können ihm
klarer, die in Frage kommenden Oertlichkeiten lebendiger werden; er kann in die
näheren Verhältnisse der Umgebung des Beschuldigten und der Zeugen hineinblicken
und so verborgene treibende Kräfte herausfinden. Für dies alles ist natürlich
Voraussetzung, daß der Kriminalbeamte das tatsächliche des Vorgangs beherrscht
und befähigt ist, von selbst oder auf Befragen die erforderlichen Umstände hervor-
zuheben. Aber auch in denjenigen Erörterungssachen, welche nicht zuerst bei der
Polizei, sondern sofort bei der Staatsanwaltschaft anhängig werden, spielt die
Kriminalpolizei ihre wichtige Rolle. Sie unterhält zwischen dem Staatsanwalt und
dem Publikum die Fühlung. Dies ist eine sehr wichtige Aufgabe. Ein Staats-
anwalt mag ein noch so praktischer Kopf sein, er ist und bleibt bei der ganzen
Einrichtung seiner Tätigkeit an eine gewisse Bureaukratie gebunden. Er kann nicht
heute hier und morgen dort sein. Wenn beispielsweise bei einem Morde die oft
zahllosen Spuren zu verfolgen sind, welche dem Staatsanwalt von allen Seiten
angedeutet werden, so ist es der exekutive Kriminalbeamte wieder, der die einzelnen
Spuren aufnehmen und an erster Stelle durch Vernehmung von Zeugen und Orts-
besichtigungen vorprüfen muß. Ein praktischer Staatsanwalt weiß die Grenze
zwischen den Amtshandlungen, welche er selbst mit Erfolg vornehmen kann, und
den anderen, deren Vornahme er der Kriminalpolizei zu überlassen hat, sehr wohl
zu ziehen. Ueberhaupt, das soll nicht verschwiegen werden, gehen der junge Staats-
anwalt und der junge Untersuchungsrichter bei der Ausbildung in ihrem Berufe
vielfach bei der Kriminalpolizei in die Schule. Von ihr eignen sie sich, sei es aus