Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

318 I. Der exekutive Kriminalbeamte. 
ihn, wenn er unschuldig ist. Sie kann ihn vermögensrechtlich schädigen, wenn er 
z. B. eine Arbeit oder eine Stellung durch die Verhaftung verliert. Aber bei 
dringendem Tat= und hinreichendem Flucht= oder Kollusionsverdacht ist anderseits die 
Verhaftung nicht zu umgehen, weil die Unterlassung den Untersuchungszweck gefährden 
kann. Der Polizeibeamte hat ja auch die Gewähr, daß endgültig nicht er, sondern der 
Richter darüber befindet, ob der Beschuldigte weiter in Haft bleiben wird. Bei 
dringendem Tatverdachte und hinreichendem Kollusionsverdachte kann es schon einen 
Vorteil für die Untersuchung bieten, wenn der Beschuldigte alsbald nach der Tat 
richterlich vernommen wird, hierbei vielleicht ein abgelegtes Geständnis wiederholt oder 
ein bestimmtes, später als unwahr erkanntes und deshalb als Indizium für eine 
Schuld zu verwertendes Verteidigungsvorbringen zu Protokoll gibt. Wenn ein 
bloß fluchtverdächtiger Beschuldigter behauptet, daß er eine bestimmte Wohnung 
und eine bestimmte Arbeit habe, so erscheint wenigstens telephonische Befragung 
der betreffenden Zeugen zweckmäßig. Weil nämlich der Amtsrichter binnen 
24 Stunden über die Verhaftung Entschließung treffen muß, findet dieser oft 
nicht die Zeit zu solchen Ermittelungen; ihm stehen ja auch nicht so viele Hülfs- 
mittel zu Gebote wie der Polizei. So nimmt öfter der Amtsrichter zu gunsten 
des Beschuldigten dessen Angabe über feste Wohnung und feste Arbeit für wahr 
an, ohne die Unterlagen geprüft zu haben, und entläßt den Beschuldigten. 
Bald stellt es sich aber heraus, daß dieser die behauptete Wohnung nicht hatte und 
sofort nach seiner Freilassung verschwunden ist; dann muß er erst in den Polizei- 
blättern bekannt gemacht werden, und der Untersuchungszweck kann durch die 
Verzögerung gefährdet werden. 
Auch an welchem Orte und zu welcher Tageszeit eine Verhaftung vorzunehmen 
ist, regeln die Umstände des Einzelfalles. Man kann den Beschuldigten in seiner 
Wohnung, in seinem Geschäftslokale, in einer Restauration, auf offener Straße usw. 
verhaften. Das Ansehen der Behörde erfordert auch hier tunlichste Rücksicht auf die 
Verhältnisse des Einzelnen. Die Abführung einer angesehenen Persönlichkeit, welche 
die erforderlichen Mittel sofort erlegt, wird in einer Droschke oder auf dem Lande 
mittels sonstigen Fuhrwerks geschehen können. Die sozialen Verhältnisse des Einzelnen 
sollen, selbst wenn er schuldig ist, tunlichst geschont werden; das liegt im Interesse 
des Gesamtwesens, welches keine Existenz ohne weiteres vernichtet oder unnötig ge- 
fährdet sehen will. Um einen Beschuldigten, welcher tags über oder ganze Tage 
lang nicht nach Hause kommt, zu betreffen, muß man Erörterungen über sein Ein- 
treffen anstellen. Am sichersten trifft man solche Leute zwischen 3 und ½6 Uhr 
morgens, bezw. zu diesen Stunden am Sonntagmorgen, wenn der Beschuldigte nur 
Sonnabends und Sonntags bei seiner Familie weilt, zu Hause. Die Erkundigungen, 
wann der Beschuldigte zu betreffen sein wird, sind mit Vorsicht aufzunehmen. Hier 
werden kleine Unwahrheiten erlaubt sein. Bei einem Geschäftsmann erklärt man der 
Frau oder den Kindern oder einem Dienstboten, man wolle irgend etwas bestellen; 
dann wird man sicher erfahren, wenn man nicht als Kriminalgendarm gekannt ist, 
wann der Gesuchte nach Hause zurückkehrt usw.
	        
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