Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

320 1. Der exekutive Kriminalbeamte. 
lich, wenn es not tut, durchfühlen zu lassen, daß es eigentlich Pflicht jedes Unter- 
tanen sei, zur Ueberführung eines Uebeltäters mitzuwirken. Herausfordernd trete 
aber der Polizeibeamte nicht auf. Er sei auch rücksichtsvoll. Er richte die Ver- 
nehmung so ein, daß der zu Befragende sich nicht geniert fühlt. Es wäre z. B. 
taktlos, an einen Geschäftsinhaber, der mitten im Laden unter seinen Kunden steht, 
zur Befragung heranzutreten usw. 
Menschenkenntnis erfordert die Tätigkeit der Zeugenvernehmung, sofern manche 
Zeugen bestrebt sind, ausweichend zu antworten oder den Beamten direkt anzulügen. 
Der eine will mit Polizei und Gericht nichts zu tun haben, weil er befürchtet, 
kurz oder grob behandelt zu werden. Der andere hat keine Zeit für viele Laufereien 
oder ist auch zu bequem dazu. Ein dritter will sich mit niemandem aus seiner 
Umgebung oder Bekanntschaft oder Kundschaft in Feindschaft setzen. So wissen 
bekanntlich Gastwirte recht oft nicht, wie sich in ihren Lokalen irgend ein Vorgang 
in ihrer Gegenwart zugetragen hat, weil sie durch freiwillige Auskunft dem Besuche 
der Gäste zu schaden glauben. Herren und Damen aus den höheren Gesellschafts- 
kreisen lassen sich, wenn sie nicht selbst Verletzte sind und die Hülfe der Behörden 
angerufen haben, sehr gern verleugnen. Mit allen diesen vom Polizeibeamten 
nicht immer zu ändernden Umständen hat er zu rechnen und danach die Aussagen, 
falls er solche erlangt, gehörig zu beurteilen, auch sein Urteil nötigenfalls in der 
Anzeige auszusprechen. Es ist nicht immer leicht, die gewünschte Auskunft zu 
erhalten. Soll einerseits der Kriminalbeamte, wie schon erwähnt wurde, mit einer 
gewissen Sicherheit auftreten und die Würde seiner Behörde und seines Amtes 
wahren, so pflegt es doch erfahrungsgemäß uns Deutsche zu stören, wenn sich der 
Polizeibeamte als solcher zu sehr aufspielt. Handelt es sich um Vernehmung von 
Zeugen, so lasse der Kriminalbeamte seine Beamteneigenschaft, abgesehen natürlich 
von deren Legitimation, tunlichst wenig hervortreten. Derjenige Kriminalbeamte wird 
in allen Schichten der Bevölkerung die bereitwilligsten Auskünfte erhalten, der dem 
Zeugen in der diesem nach seinem Stande eigenen gesellschaftlichen Form entgegen- 
tritt, also dem einfachen Manne schlicht, zutraulich, ohne Umstände, dem höher 
stehenden Zeugen höflich, verbindlich, liebenswürdig und rücksichtsvoll. Diese Befähigung, 
sich auf solche Weise in den verschiedenen Gesellschaftskreisen bewegen zu können, 
wird meist Veranlagung sein, sie kann aber auch durch Uebung und Umgang an- 
gelernt werden. Hierin liegt ein Geheimnis der Erfolge eines Kriminalbeamten. 
Daß ein Mißverständnis zwischen dem Beamten und den Zeugen aus- 
geschlossen sei, ist auch hier zu betonen. Irrtümer können schon aus der Aus- 
drucksweise des Zeugen, aus seinem Dialekte, aus unklaren und mißverständ- 
lichen Ausdrücken erwachsen. Deshalb muß eben der Kriminalbeamte im Um- 
gange mit allerhand Menschen bewandert sein, muß verschiedene Dialekte und 
vor allem die Ausdrucksweise des gemeinen Mannes der verschiedensten Berufs- 
arten verstehen. Es gibt eine Menge Menschen, die sich im schnell und unver- 
mutet an sie herantretenden Augenblicke der Vernehmung durch den Polizei- 
beamten nicht sofort auf alle Einzelheiten genau besinnen können. Der eine wird
	        
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