Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Augenscheinseinnahme. 331 
können sie dann ihr Gedächtnis wieder auffrischen. Die Aufnahme der Zeichnung 
vermag dem Staatsanwalt und Richter die Mühe, sich später selbst an den Tatort 
zu begeben, oft zu ersparen. Der Polizeibeamte, welcher die Zeichnung aufgenommen 
hat, wird als Zeuge über die Richtigkeit seiner Zeichnung vernommen; auf Vorhalt 
werden ja auch andere Zeugen und der Beschuldigte selbst die Zeichnung als richtig 
anerkennen. In wichtigen Fällen wird an Stelle der Zeichnung eine Photographie 
zu treten haben, z. B. bei dem Schauplatze einer Brandstiftung, eines Mordes mit 
Spuren eines vorausgegangenen Kampfes. Der Untersuchungsrichter wird nicht 
immer in solchen Fällen mit seiner photographischen Aufnahme zur rechten Zeit 
kommen. Der Benutzung polizeilicher Photographien als Beweismittel in der Haupt- 
verhandlung stehen nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts prozessuale Bedenken 
durchaus nicht entgegen; der photographierende Beamte hat später als Zeuge zu 
versichern, daß er die Photographie naturgetreu aufgenommen habe. 
An Einzelheiten wäre noch folgendes zu erwähnen. Eine vorhandene Fuß- 
spur oder Wagenspur kann zur Auffindung des Täters führen; sie sind daher sorg- 
fältig zu verfolgen. Die Spuren können aber auch auf die Beschaffenheit des 
Fußgängers oder Wagens schließen lassen; tiefe Spuren weisen auf einen schweren 
starken Menschen oder einen schweren oder schwerbeladenen Wagen hin. Wagenspuren 
sind unkenntlich gemacht worden, indem der Wagen kurz vor dem Gehöfte rückwärts 
zum Tore hineingeschoben wurde. An den Schollen, welche Wagenräder in Staub, Kot 
oder Schnee bilden, läßt sich erkennen, in welcher Richtung sich die Räder bewegt 
haben. Ob. ein Menschenfuß bekleidet oder nackt war, erkennt man an den weicheren, 
runden oder kantigen scharfen Abdrücken. Es läßt sich unterscheiden, ob jemand 
gegangen, gelaufen oder gesprungen ist; vor allem an der Schrittlänge, die vom 
Gehen bis zum Springen immer größer wird, dann beim Laufen und Springen 
an den starken Eindrücken der Fußspitzen und Fersen. Ob jemand stehen geblieben 
ist, zeigt sich an einem kurzen Schritt und, da man selten auf denselben Spuren 
stehen bleibt, an einer Mehrheit von Spuren auf derselben Stelle. Aus Größe 
und Länge einer Fußspur kann man auf die Gestalt, aus den Abdrücken des 
Schuhwerks auf Geschlecht und soziale Stellung des Menschen schließen. Bei 
Erkennung des Schuhwerks kann der Schuhmacher gute Dienste leisten. Aus der 
Schrittweite gewinnt man Anhaltspunkte für die Körperlänge des Gehenden oder auf 
bestimmte Eigenschaften desselben, z. B. auf einen lahmen Fuß. Aehnliche Aufschlüsse 
gibt die sogenannte Ganglinie, d. i. die Verbindungslinie aller einzelnen Fußspuren, 
auch Richtungslinie genannt; z. B. eine gebrochene, d. h. nicht gerade Ganglinie 
weist auf breitspurigen Gang hin; es gibt auch eine Ganglinie, bei welcher der 
Gehende aus Nachlässigkeit oder Nachdenklichkeit je den Absatz auf die entgegen- 
gesetzte Seite der Ganglinie setzt. Endlich bietet der Fußwinkel, d. h. der Winkel, 
in welchem die Fußlänge zur Ganglinie steht, gewissen Anhalt. Wer auswärts geht, 
gehört meist den besseren Ständen an oder hat Plattfuß; auch starke Personen, 
z. B. Schwangere, gehen oft auswärts. Menschen mit verletzten oder krummen 
Beinen, sowie Frauen und Kinder gehen oft einwärts. Gang= und Fußspuren
	        
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