Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

372 I. Der exekutive Kriminalbeamte. 
Wird ein Ermordeter aufgefunden, so ist sofort der Staatsanwalt oder der 
nähere Amtsrichter in Kenntnis zu setzen. Bis zum Eintreffen der Justizbeamten 
hat die Polizei dafür zu sorgen, daß die Leiche nicht aus ihrer Lage gebracht und 
überhaupt nichts am Tatorte geändert wird. Der Polizeibeamte erwäge, daß er im 
ersten Augenblicke nicht ermessen kann, welche Umstände am Tatorte für die Unter- 
suchung von Bedeutung sein können. Hat der Boden Fußspuren aufgenommen, 
z. B. des Ermordeten und des Mörders, so ist dafür zu sorgen, daß zwischen 
diese Spuren keine andere hinzukommen und die Linien verwischen. Ist der Boden 
um die Leiche herum oder in der Nähe zerwühlt oder zerstampft, so daß annehm- 
bar ein Kampf zwischen Mörder und Opfer stattgefunden hat, so ist ebenfalls dieses 
Bodenbild nicht zu stören. Gegenstände, welche am Tatorte gefunden werden, 
z. B. eine Waffe, sind in ihrer Lage zu belassen. Diese kann für die Beurteilung, 
in welcher Weise die Tat ausgeführt worden ist, von Wichtigkeit werden. Spuren 
von Blut sind durch Bedecken mit Tüchern, Töpfen, Glasflächen usw. vor etwaigem 
Einflusse der Witterung zu sichern. Auch die Lage der Leiche selbst ist nicht zu 
verändern, sie kann ebenfalls wichtige Aufschlüsse geben. 
Die Beschreibung des Tatortes und wichtiger Zustände an demselben wird 
meist die Justizbehörde übernehmen. 
Die Besichtigung der Leiche und des Tatortes, welcher der exekutive Kriminal- 
beamte beim Eintreffen der Justizbehörde zwecks seiner Aufklärung Über die Lage 
des Falles und die Vornahme der weiteren Erörterungen aufmerksam zu folgen hat, 
geben wichtige Aufschlüsse über die Tat. Die Besichtigung der Leiche wird zunächst 
darüber Anhalt bieten, ob wirklich Mord oder etwa Selbstmord, zufälliger gewalt- 
samer oder gar nur natürlicher Tod vorliegt. Freilich lassen sich diese Fragen 
manchmal auch erst nach der Leichenöffnung beantworten. Aber genügende Anhalts- 
punkte für die weiteren Maßnahmen gibt die Leichenschau immer. Eine Leiche, 
welche die Pistole fest in der geschlossenen Hand hat, ist die eines Selbstmörders. 
Im Uebrigen spiegelt der Mörder manchmal einen Selbstmord des Ermordeten vor, 
z. B. wird der Ermordete aufgehängt. Der Eindruck des Strickes läuft beim Selbst- 
mörder meist quer über den Vorderhals und steigt an beiden Seiten steil hinter den 
Ohren in die behaarte Kopfhaut. Erwürgen und Erdrosseln kommen selten als 
Selbstmord vor. Zum Erhängen und Erdrosseln dienen Stricke, Riemen, Hosen- 
träger, Taschentücher und dergl. Man untersuche, wem das Strangulierungswerkzeug 
gehört, dem Toten oder nicht? Ob eine im Wasser gefundene Leiche lebend oder 
tot in das Wasser gekommen ist, wird oft wichtig. Aeußerlich ist dies nicht er- 
kennbar. Man wird vielfach davon auszugehen haben, wie lange die Leiche im 
Wasser zugebracht haben mag. Oft gibt hierüber Auskunft eine bei der Leiche be- 
findliche Taschenuhr, weil diese im Wasser sofort stehen bleibt und nur ganz gute 
Uhren noch eine Zeit gehen. Aus der Richtung der Wunde kann geschlossen werden, 
ob sie der Tote sich selbst beibringen konnte oder ob sie ihm ein Dritter beigebracht 
hat. Es läßt sich beurteilen, aus welcher Nähe ein Schuß auf den Getöteten ab- 
gegeben worden ist. Ein unmittelbarer Nahschuß ist erkennbar an der großen und
	        
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