Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Allgemeine Verhaltungsvorschriften. 425 
Erfolgt ein Zusammenstoß einer Straßenbahn mit einem anderen Fuhrwerke, erörtert 
er eine Schlägerei unter mehreren Parteien usw., so wird es vielfach mit darauf 
ankommen, welcher Person der Schutzmann in seiner Anzeige die Schuld beimißt. 
Der Schutzmann wird also dadurch gewissermaßen Gehilfe des 
Staatsanwalts und Richters — auch in der späteren mündlichen Verhand- 
lung — bei Beantwortung der Schuldfrage. Das ist eine der wichtigsten 
Aufgaben, welche dem Polizeibeamten gestellt sind; ihre Erfüllung erfordert vor allem 
gerechten Sinn. Offener Kopf und gesunder Menschenverstand nützen allein nicht 
zur vollen Klarftellung eines Sachverhaltes, wenn im Innern des untersuchenden 
Beamten, von dessen Willen vielleicht ganz unabhängig, ein nicht gerechter Charakter 
wohnt, der leicht zur Parteilichkeit neigt und sich von Zufälligkeiten, Aeußerlichkeiten, 
Stimmungen, Launen usw. beeinflussen läßt. Insbesondere soll sich der Beamte in 
unserer Zeit der sozialen Gegensätze ohne Ansehen des Standes und der Bevölkerungs- 
klasse einer Person seinen Erörterungen unterziehen. Er halte sich nicht für ver- 
pflichtet, lediglich und allein im Dienste der besitzenden Klassen zu stehen und diese 
gegenüber den unteren Schichten des Volkes gewissermaßen zu schützen und zu ver- 
treten. Er lasse einem vornehm gekleideten Radfahrer nicht die Ordnungswidrigkeit 
durch, welche er bei dem gewöhnlichen Manne rügt. Andererseits fühle er sich nicht 
mit den mittleren und unteren Schichten, aus welchen er selber seiner Geburt nach 
stammt, derart solidarisch, daß er die besseren Stände mit seiner Belehrung und 
Zurechtweisung verfolgt, wo er seinesgleichen unbehelligt läßt. Er verwarne nicht 
durch Zuruf die Kinder besserer Stände, welche zwecks Auflesens von herabgefallenen 
Kastauien eine verbotene Rasenfläche in der Anlage betreten, und übersehe gleichzeitig, 
wie dicht neben ihm die Kinder eines mit ihm sprechenden guten Bekannten in der- 
selben Weise Kastanien aufheben. Er weise nicht den mit dem Gartenschlauch 
sprengenden Villenbesitzer, der versehentlich den Fußsteig mit benetzt, zurecht, während 
er dem im Nebenhause sprengenden Hausmann, der dasselbe tut, keine Rüge erteilt. 
In seiner Diensttätigkeit fühle sich der Exekutivbeamte außerhalb der sozialen Gegen- 
sätze und als Beamter des diese Gegensätze alle umfassenden Staates über ihnen stehend. 
Verbrechen und Vergehen im Amte. 
Von den Verbrechen und Vergehen im Amte, welche im Reichsstraf- 
gesetzduche unter Strafe gestellt sind, halte sich der Exekutivbeamte gegenwärtig die 
Tatbestände der §§ 331, 332 (sogenannte passive Bestechung), 336 (Rechts- 
beugung), 339 (Mißbrauch der Amtsgewalt bei Amtsausübung), 
340, 341, 342 (vorsätzliche Körperverletzung, vorsätzliche Freiheits= 
beraubung, Hausfriedensbruch in Amtsausübung), 343 (Erpressung 
von Geständnissen), 344, 345 (Untersuchung und Strafvollstreckung 
wider besseres Wissen), 346 (absichtliche Unterlassung strafrecht- 
licher Verfolgung), 347 (vorsätzliches und fahrlässiges Entweichen- 
lassen eines Gefangenen), 348 (falsche amtliche Beurkundung und 
Urkundenunterdrückung) vergl. hierzu Handbuch, 1. Band, Seite 255 ff.
	        
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