Streikpostenstehen strafbar? 433
Erklärung bekannt geworden und in der Verordnung selbst auch nicht
andeutungsweise zum Ausdrucke gelangt, daher für ihre Auslegung
ohne Bedeutung sei. Der Zweck des Gesetzgebers könne zur Auslegung eines
Gesetzes so lange nicht verwertet werden, als dieser Zweck nicht im Gesetze selbst
einen wenn auch unvollkommenen Ausdruck gefunden habe. Deshalb und weil
ferner die Verordnung sich auf jeglichen öffentlichen Ort ohne
Einschränkung und nicht bloß auf öffentliche Wege, Straßen,
Plätze und Wasserstraßen beziehe, weil drittens die Einschränkung
nicht davon abhängig gemacht sei, daß die Erhaltung der Sicher-
heit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit oder Ruhe an dem öffentlichen
Orte durch den näher bestemmten Aufenthalt gestört oder gefährdet
werde, aus diesen Gründen falle die Verordnung des Senats nicht unter
die in § 366 Nr. 10 des Strafgesetzbuchs dem Landesrechte vor-
behaltenen Polizei-Verordnungen.
Der schon genannte § 152 der Reichsgewerbeordnung hat in seinem
hier allein in Frage kommenden ersten Absatz folgenden Wortlaut: „Alle Verbote
und Strafbestimmungen gegen Gewerbtreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder
Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung
günstiger Lohn= und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit
oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben.“ Mit dieser gesetzlich gewähr-
leisteten Koalitionsfreiheit der gewerblichen Arbeiter sind, wie das Reichsgericht
weiter ausführt, straflos nicht nur der erste Abschluß der Verabredung
oder Vereinigung mehrerer zwecks Erlangung günstiger Lohn= und Arbeits-
bedingungen einschließlich aller Vorverhandlungen, sondern auch die
Ausdehnung der abgeschlossenen Verabredung und Vereinigung
auf andere, straflos ferner die Aufrechterhaltung des durch den
Zusammenschluß geschaffenen Zustandes. Straflos sind also, wie
der Polizeibeamte genau festzuhalten und zu verstehen hat, alle Handlungen,
welche der Herbeiführung, Fortdauer oder Unterstützung der Ver-
abredung oder Vereinigung zu dienen bestimmt sind, notwendigerweise
mit Einschluß des das Werben von Anhängern vorbereitenden
Aufsuchens von Gelegenheit dazu. Diese letzteren Vorbereitungs-
handlungen zu den straflosen Verabredungen können nicht straf-
bar sein, wenn die Ausführung selbst straflos ist, und sie können
auch durch die Landesgesetzgebung nicht unter Strafe gestellt
werden. Die Landesgesetzgebung ist, selbst bezüglich der Vorbereitungshandlungen
zu Straftaten, durch die im Strafgesetzbuche gegebenen Rechtssätze über den Versuch
gebunden.
Mit diesen Grundsätzen des Reichsrechts, das im Zweifel die von ihm be-
haudelten Materien abschließend regelt, tritt die Verordnung des Lübecker Senats in
Widerspruch, indem sie die Streikposten mit Strafe bedroht, welche gerade in der
geschilderten Weise die Interessen Streikender durch die erlaubten Mittel der Beobach-
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