Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Streikpostenstehen strafbar? 435 
erwähnte polizeiliche Bestimmung hinsichtlich des Stehenbleibens 
einzelner oder der Ansammlung mehrerer besteht, oder der Streik- 
posten macht sich, soweit der Ungehorsam gegen die mündlichen 
Anweisungen der zuständigen Polizeibeamten unter Strafe steht, 
dann straffällig, sobald er einer solchen Aufforderung nicht Folge 
leistet. 
Der Exekutivbeamte hat also im Einzelfalle selbst zu beobachten und zu 
ermessen, ob der oder die aufsgestellten Streikposten z. B. durch ihre Zahl, durch 
ihr Verhalten, zufolge vorausgegangener Ausschreitungen usw. die Sicherheit, Ordnung 
und Ruhe auf der Straße gefährden, und, wenn er diese Frage nach bestem Er- 
messen bejaht, die Streikposten wegzuweisen und im Ungehorsamsfalle wegen der 
Nichtbefolgung dieser Anordnung gewaltsam zu entfernen bezw. zu sistieren und zur 
Anzeige zu bringen. Da aber für einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit oder 
einen bestimmten Streik diese Frage nach der Gefährdung der öffentlichen Sicher- 
heit usw. manchmal ganz einheitlich wird bejaht werden können, so steht in solchen 
Fällen nichts entgegen, daß die Polizeibehörde ihre Exekutivbeamten mit der 
einheitlichen Anweisung versieht, das Streikpostenstehen als Gefährdung anzusehen 
und die Streikposten wegzuweisen. 
Wenn ferner aus tatsächlichen Gründen, beispielsweise nach vorangegangenen, 
bei demselben Streik durch Streikposten verursachten gröblichen Ausschreitungen oder, 
falls in einem kleineren Orte eine bedeutende Menge Arbeiter streiken, die Gefahr, 
daß die öffentliche Ruhe, Bequemlichkeit und Sicherheit durch Ausstellen von Streik- 
posten gestört werde, eine sehr naheliegende ist, so steht auch nichts entgegen, 
daß die Polizeibehörde in besonderer Bekanntmachung das im son- 
stigen Straßenverkehre nicht übliche Stehenbleiben einzelner und 
Ansammlungen mehrerer zum Schutze der öffentlichen Ruhe, 
Bequemlichkeit und Sicherheit unter Strafe stellt und ausdrück- 
lich darauf aufmerksam macht, daß das Streikpostenstehen unter 
die verbotenen Handlungen einbegriffen sei. 
Daß die eben entwickelte Ansicht mit der Entscheidung des Reichsgerichts im 
Einklange steht, ergibt ihr eigner Wortlaut: „Selbstverständlich sind bei 
Ausübung des Koalitionsrechts die bestehenden Gesetze zu 
befolgen; eine nach einem bestehenden Gesetze strafbare Handlung 
wird nicht dadurch straffrei, daß sie das Mittel bildet, die Zwecke 
der Koalition zu fördern.“ Und weiter am Schlusse: „Entschieden ist 
durch dieses Urteil auch nicht die Frage, ob nicht den Gefähr- 
dungen, welche mit dem Streikpostenstehen verbunden sein können, 
in anderer Weise durch Polizeiverordnungen entgegengetreten 
werden kanu.“ Dabei wird beispielsweise auf einen Fall verwiesen, wo das 
Reichsgericht die Verurteilung aus einem Straßenpolizeireglement bestätigt hat, das 
unter Strafandrohung die Befolgung der straßenpolizeilichen Anordnungen der Auf- 
sichtsbeamten vorschrieb. Der Kern der Reichsgerichtsentscheidung ist also: Das 
28“
	        
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