452 II. Der exekutive Polizeibeamte.
so eröffnet sich gegebenen Falles ohne weiteres die Aussicht auf die Feststellung
eines ganzen Personenkreises von unbefugt Schänkenden. Nach § 102
der Strafprozeßordnung (vergl. Handbuch, Band 1, S. 64) ist bei demjenigen,
welcher als Täter oder Teilnehmer einer strafbaren Handlung verdächtig ist,
eine Durchsuchung seiner Wohnung und Geschäftsräume zur Auffindung von
Beweismitteln sowohl gegen ihn selbst als gegen dritte, und überdies nach § 103
der Str. P. O. auch eine Durchsuchung behufs Beschlagnahme bestimmter Gegenstände
zulässig, wenn aus Tatsachen zu schließen ist, daß die gesuchte Sache sich in den
zu durchsuchenden Räumen befindet. Nach § 105 Abs. 1 der Str. P. O. sind zu
solchen Durchsuchungen bei Gefahr im Verzuge auch die Polizei= und Sicher-
heitsbeamten zuständig, nicht also bloß der Richter und der Staatsanwalt. Der
Begriff der Gefahr im Verzuge ist zweifellos dehnbar. Die Polizeibehörde oder
der mit der Sache befaßte Beamte entscheidet diese Frage selbst nach bestem Ermessen.
Gefahr im Verzuge liegt vor, wenn die Befürchtung begründet ist, eine Verzögerung
könne den Zweck der Durchsuchung oder Beschlagnahme vereiteln. Ist nun gegen-
über dem Grossisten der Verdacht begründct, daß er nicht nur dem einen, sondern
auch vielleicht einigen andern Abnehmern zum unbefugten Schanke durch Lieferung
des Branntweins wissentlich Beistand geleistet hat, so ist eine Durchsuchung seiner
Näumlichkeiten nach Geschäftsbüchern oder Geschäftspapieren (Rechnungen, Liefer-
scheine) auf grund der angezogenen Bestimmungen der Strafprozeßordnung zulässig.
Weil aber in solchen Fällen wohl immer damit zu rechnen ist, daß der Lieferant seine
Abnehmer warnen und zur Beseitigung ihrer von ihm bezogenen, als Beweismittel
dienenden Branntweinvorräte (welche überdies der Beschlagnahme unterliegen) ver-
leiten kann, so kann die Frage, daß Gefahr im Verzuge liege, meist bejaht werden.
Die Polizeibehörden und Polizeibeamten würden also ermächtigt sein, die erwähnten
Geschäftsbücher oder Geschäftspapiere des Lieferanten mit Beschlag zu belegen und
aus ihnen diesenigen Geschäftsleute zu ersehen, welche von dem Lieferanten ebenfalls
Branntwein bezogen haben. Der Lieferant gestattet dem Polizeibeamten meist ohne
weiteres die Einsicht der Papiere und Geschäftsbücher, indem er keinen Widerspruch
erhebt (§ 110 der Str.P. O.). Der Vergleich mit der Liste derjenigen Händler,
welche Erlaubnis zum Schank und Kleinhandel besitzen, ergibt dann sofort die
Schuldigen. Aus den Geschäftsbüchern des Lieferanten ersieht man ganz genau,
wann und welche Mengen Branntwein der Abnehmer bezogen hat. Dann kann man
berechnen, bei wem noch erhebliche Branntweinmengen, welche die Beschlagnahme be-
sonders lohnen, vorrätig sein werden. Gegen diese Händler hat man dann zuerst
einzuschreiten.
Als Amtsanwalt in Chemnitz pflegte ich eine solche große Aktion ein-
gehend vorzubereiten. Der Termin, zu welchem die Geschäftspapiere des verdächtigen
Lieferanten beschlagnahmt wurden, wurde von mir festgesetzt. Die Geschäftsbücher
wurden sofort nach der Beschlagnahme von mir durchgesehen und ein Verzeichnis
aller straffälligen Abnehmer, ebenso Zeit und Menge ihrer Lieferung aufgenommen,
indem sofort durch Vergleich mit dem Adreßbuche bezw. einer stets nach dem Stande der