486 II. Der exekutive Polizeibeamte.
hof anstatt der Aburteilung die Stellung unter Probation auf die Dauer von zwei
bis zwölf Monaten verfügen, während deren der Angeklagte unter der Aufsicht des
Prodation Officer steht, der ihn mit Rat und Tat zu unterstützen, bei schlechter
Führung aber sofort zu verhaften und vor Gericht zu stellen hat. Die guten Er-
fahrungen mit dieser Einrichtung ließen dann auch in England ein Gesetz, The
Probation of first Offenders Act, vom 8. August 1887 zu stande kommen, welches
dem Richter das Recht einräumt, die Aburteilung für eine bestimmte Zeit aus-
zusetzen, wenn der Angeklagte noch nicht verurteilt und die ihm zur Last gelegte
Tat nicht höher als mit zwei Jahren Gefängnis bedroht ist und er einen bestimmten
Wohnsitz nachweisen kann. Die abermalige Verübung einer Straftat hat Verhaftung
und Aburteilung wegen der früheren Tat zur Folge. Diese beiden Gesetze haben
also gemeinsam, daß es gegenüber einem Angeklagten unter gewissen Bedingungen
zu einer Verurteilung überhaupt gar nicht kommt. Anders in dem belgischen Gesetze
vom 31. Mai 1888, welches nach Ermessen des Gerichts eine Verurteilung des
Angeklagten zu Gefängnisstrafe bis zur Dauer von sechs Monaten als nicht ge-
geschehen („comme non avenue'“) ansieht, also auch die erkannte Strafe unvollstreckt
läßt, wenn der Verurteilte während einer vom Gericht zu bestimmenden Probezeit,
welche die Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten darf, nicht eine neue
Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens erlitten hat. Die
übrigen kontinentalen Gesetzgebungen (Frankreich 1891, Luxemburg 1892,
Portugal 1893, Norwegen 1894, Gesetzentwürfe für Oesterreich Ungarn,
Italien, die Schweiz und die Niederlande) haben dem belgischen System den
Vorzug vor dem englischen gegeben, und auch die deutschen Regierungen sind
diesen Weg gegangen, weil es der deutschen Rechtsauffassung nicht entspricht,
eine Freiheit und Ehre immerhin tief genug schädigende Maßregel gegen
einen Angeschuldigten eintreten zu lassen, ohne daß die Verübung der Straftat
durch Urteil festgestellt sei.
Ethische und kriminal= politische Begründung.
An der Hand einer Statistik ist nachzuweisen, daß unsere gesamte heutige
Strafrechtspflege fast ausschließlich auf der kurzen Freiheitsstrafe beruht. Diese ist
an und für sich und besonders bei der Einrichtung der kleinen Gefängnisse, in
welchen solche Strafen verbüßt werden, für die Erreichung der Strafzwecke nicht
tauglich, weil sie bei ihrer Kürze nicht bessern und bei der ganzen Art ihres Voll-
zuges auch nicht abschrecken kann. Auf den Gewohnheitsverbrecher wirkt das Ge-
fängnis mit seiner gegenwärtigen Einrichtung nicht abschreckend und den Gelegen-
heitsverbrecher, besonders das zum ersten Male sich verfehlende Weib, richtet es zu
grunde. Die kurze Freiheitsstrafe ist deshalb nicht nur nutzlos, sondern sie schädigt
sogar die Rechtsordnung schwerer, als völlige Straflosigkeit der Verbrecher es tun
würde. Aus diesen Gründen sind für die kurzen Freiheitsstrafen Ersatzmittel zu
finden, unter welchen als hauptsächlichstes die bedingte Verurteilung nach belgischem
System empfohlen wird.