Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Die Beleidigung. 493 
lustig erklärt wird. Die besondere bürgerliche Ehre wird beispielsweise angegriffen, 
wenn dem Offizier Feigheit und dem Beamten Bestechlichkeit vorgeworfen werden: 
denn gerade Mut und Unbestechlichkeit sind unerläßliche Voraussetzung für die Aus- 
füllung jener Stellungen. 
Gesamtheit von Individuen. Gesamtbeleidigung. 
Eine Gesamtheit von Individuen als Einheit gedacht, besitzt als 
solche keine Ehre, auch nicht, wenn sie eine juristische Person mit Korporations= 
rechten bildet. Die Möglichkeit einer Beleidigung ist daher in der Regel aus- 
geschlossen. Nach abweichender ausdrücklicher Bestimmung aber können beleidigt 
werden Behörden des Staates oder der Gemeinde, gesetzgebende Versammlungen des 
Reichs oder eines Bundesstaates, also der Bundesrat und seine Ausschüsse, der 
Reichstag, die Senate der Hansestädte, die Parlamente der Einzelstaaten, sowie 
politische, das heißt erlaubterweise für staatliche Zwecke tätige Körperschaften, wie 
die Stadtverordnetenversammlungen, Gemeinderäte usw. Man spricht weiter von 
einer Gesamtbeleidigung, wenn der Beleidiger eine Gesamtbezeichnung wählt 
und sich dessen bewußt ist, daß diese Bezeichnung auf alle unter den Begriff fallende 
Personen bezogen werden kann; zum Beispiel „die Kaufmannschaft von Leipzig“, 
„die Schutzmannschaft von Berlin“, „die sächsischen Richter“, „die Offiziere und 
Unteroffiziere der preußischen Armee“. Nur dasjenige Mitglied der Mehrheit wird 
nicht getroffen, welches der Beleidiger bei seiner Kundgebung erkennbarerweise aus- 
genommen hat. Endlich können, wie noch zu erörtern sein wird, gewisse Gesamt- 
heiten, zum Beispiel Handelsgesellschaften, Genossenschaften und Aktiengesellschaften, 
verleumderisch in einer Weise, welche ihren Kredit zu gefährden geeignet ist, beleidigt 
werden. In solchen Fällen spricht die Theorie davon, daß das Gesetz ein Rechts- 
subjekt als Träger der Ehre fingiere. Verletzung der Ehre. 
Die Ehre in ihrer erwähnten mehrfachen Bedeutung stellt das Strafgesetz 
unter seinen Schutz. Nicht als ob eine vorhandene Ehre durch die Beleidigung 
verletzt werden könnte. Wer Ehre besitzt, kann sehr wohl in gewissem Sinne 
sagen: „Mich kann niemand beleidigen.“ Jeder kann nur durch eigene Handlungen 
seine Ehre beeinträchtigen. Von Ehrverletzung und Ehrenkränkung im genausten 
Sinne des Wortes kann also nicht gesprochen werden. Aber die Meinung= andrer 
von unfsrer Ehre, der vom Gesetze zu gewährleistende Genuß ihrer äußeren Aner- 
kennung, der „rechtlich anerkannte Verkehrskurs eines Menschen“ werden durch die 
Beleidigung verletzt. Das Gesetz kann zwar von uns nicht fordern, daß wir in 
unserem Innern die Ehre unserer Mitmenschen immer voll anerkennen. Wir 
glauben diesen oder jenen wegen einer bestimmten Handlung weniger achten oder 
verachten zu müssen. Aber das Gesetz verlangt, daß wir uns willkürlicher Aeuße- 
rungen und sonstiger Kundgebungen enthalten, welche in sich schließen, daß ein 
andrer keine Ehre besitze. Das Gesetz stellt selbst die Fälle erschöpfend auf, in 
welchen wir unfrem Nächsten eine ehrenrührige Handlung nachsagen dürfen. Der 
Staat muß, wenn er seine Ziele erreichen will, die äußere Anerkennung des 
Menschen und Bürgers gewährleisten.
	        
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