Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

496 II. Der exekutive Polizeibeamte. 
Postboten oder in der Wohnung des Empfängers von einem Dienstboten gelesen 
worden wäre und der Täter mit diesen Möglichkeiten rechnen mußte. Die Belei- 
digung durch ein zu druckendes Manuskript wird meist mit der Kenntnisnahme 
seitens des Setzers vollendet sein. Ist die Kundgebung, insbesondere durch Abdruck 
eines beleidigenden Artikels in einer Zeitung, gewollt, so kommt nichts darauf an, 
ob die Art der Kundgebung von dem Plane des Kundgebenden insofern abweicht, 
als der Abdruck zufällig in einer anderen Zeitung erfolgt, als er gewollt hatte. 
Man kann sich an der Kundgebung eines anderen beteiligen; 
zum Beispiel auf dessen Diktat einen beleidigenden Brief als Hilfeleistung schreiben. 
Dann ist man Gehilfe zur Beleidigung des anderen. Will man aber 
den Inhalt des Diktates als Ausdruck eigener Kundgebung niederschreiben, so be- 
leidigt man mit dem anderen zusammen. Umgekehrt kann auch der Diktierende der 
Gehilfe sein. 
Die Kundgebung muß eine rechtswidrige sein und der Täter 
muß wissen, daß er zu ihr nicht berechtigt war. Das Strafgesetz hat 
die Fälle erschöpfend geregelt, in welchen wir eine Kundgebung gegen die Ehre 
eines anderen richten dürfen. Wer einem wegen Diebstahls Verurteilten ohne 
weiteres das Wort „Dieb“ zurufen wollte, wäre strafbar. Den raffiniertesten Be- 
trüger darf man nicht Lump nennen. Beleidigende Kundgebungen im Scherze sind 
straffrei, wenn der Scherzende auf Verständnis seines Scherzes rechnen konnte. 
Ein ungebührlicher Scherz kann aber selbst eine Beleidigung sein. Man treibt 
zum Beispiel einem Bekannten auf offener Straße den Cylinder ein. Der Bekannte 
versteht zwar, daß dies nicht im Ernst geschieht, er nimmt aber den Scherz als 
solchen, weil er auf offener Straße verübt wurde, grimmig übel. Aehnlich zu. 
beurteilen sind nicht ernst gemeinte Vergleiche. Ein Rechtskandidat soll in der 
Prüfung den Gang des Strafprozesses beschreiben und hebt zum Professor an: 
„Gesetzt den Fall, Sie hätten mir meine goldene Uhr gestohlen.“ Ein solcher 
Vergleich des Professors mit einem Uhrendiebe wäre beleidigend. Wenn der Lehrer 
den Schüler in den unteren Klassen einen Esel oder Schafskopf nennt, so kann 
er damit bezwecken, dem Kinde seine Dummheit oder Torheit durch den Vergleich 
mit jenen Tieren recht nachdrücklich vorzustellen und sonach ohne das Bewußtsein 
handeln, das Kind oder seinen Vater zu beleidigen. Wenn aber der Lehrer zu 
einem Schüler höherer Klassen sagen würde: „Meyer, wenn Sie so lang wären 
als Sie dumm sind, könnten Sie aus der Dachrinne trinken (oder saufen)“, so 
bliebe noch zu prüfen, ob nicht bei der Wahl dieses Vergleiches und zum mindesten 
des Ausdruckes „saufen“ der Lehrer das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder gar 
die Absicht zu beleidigen hatte. Wenn der Schauspieler seiner Rolle gemäß einem 
Kollegen das Wort „Schuft“ zuruft, so fehlt seiner Kundgebung die Rechts- 
widrigkeit. Es wäre aber möglich, daß er durch Tonfall und Gebärde unter still- 
schweigender Bezugnahme auf eine von ihm gemißbilligte Handlungsweise des 
Kollegen diesem gleichzeitig mit dem Zurufe „Schuft“ seine persönliche Verachtung 
zum Ausdruck bringen wollte. Dann läge eine Beleidigung vor. Das Bewußt-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.