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Pantöffelchen und goldenen Liebesäpfel sind, so gehören sie doch zur Ver—
vollständigung des Bildes damaliger Zeit.?o)
Weniger klein an Gestalt, aber unverhältnismäßig viel größer an Be—
deutung und Einfluß, als jene Faveurs — ja einer ganzen Geschichtsepoche
einen unverwischbaren Stempel aufdrückend — ist die Perücke. Dem
moralischen Zwange, eine solche zu tragen, konnte vom Ende des 17. Jahr-
hunderts an bis in die Tage des brumaire hinein kein Mitglied der Ge-
sellschaft, ja niemand entgehen, der nicht als Hottentotte oder Baschkire an-
gesehen sein wollte. Der Beginn dieser Sitte war das ganz und gar un-
verfängliche und unauffällige Tragen des eigenen Haares in möglichst lang
um die Schultern wallenden Locken seitens der vornehmen Männerwelt.
Die ersten Helden der Zeit trugen sich so wie z. B. schon Bernhard von
Weimar. Mit der Zunahme der absoluten Fürstengewalt und der direkt
wie indirekt durch dieselbe groß gezogenen Sucht zu schmeicheln, sowie einer,
Fürsten wie Untertanen gleich schädlichen, oft die Menschenwürde auf-
gebenden byzantinischen Unterwürfigkeit — den unreinen Schlacken lauterer
Loyalität — entstand bei Poeten und Nichtpoeten, bei Günstlingen und
Gunstsuchenden eine zur Manie werdende Häufigkeit des Vergleiches dieser
lockenumwallten Häupter von Prinzen, Ministern und Generalen mit dem
von mächtiger Mähne umrahmten Kopfe des Königs der Tiere. Schließ-
lich sollte nicht nur, sondern wollte jeder ein Löwe sein. Und da dies
— das heißt die hierzu erforderlichen äußerlichen Ingredienzien und Attri-
bute, die in einer möglichst großen Haarfülle entdeckt worden waren —
wie man zu sagen pflegt, nicht den Hals kostete, so machte sich die crinièere
(d. h. Mähne), sei es nun de lion oder de bélier bald auch auf den
Köpfen niederer Sterblicher bemerkbar. Aber immer noch nur erst vom
eigenen Haare. Indessen ließen die Erfolge derer, die von der Natur mit
solchen Kopfzierden ausgestattet waren, diejenigen nicht schlafen, denen dieses
Material versagt blieb. Man begann fremdes Haar einzubinden, erst mehr
oder weniger heimlich und nach Möglichkeit unbemerkt, dann ungeniert und
0) „Hut, Mantel, Degen und Favor,
Die schenk ich meinem Hof-Sartor“
sind die Worte eines durch übertriebenen Luxus an den Bettelstab gebrachten, aber immer
noch hochnasigen Stutzers, dessen Figur satyrisch-humoristisch (man könnte auch „pädagogisch“
hinzufügen) zum allgemeinen Ergötzen im Komödienhause an den geistigen Pranger gestellt
wurde. Ja, Stutzer und Schneider machten und machen die Mode. Das Unwesen der
Kleidernarren oder Stutzer, der aggressiven Nachfolger der harmlosen Schönbartgesellen
und Vorgänger impertinenter Gigerl und Gecken, jener Drohnen in Menschengestalt, jener
Müßiggänger und Hohlköpfe, die ohne jeden anderen Zweck als den, bewundert zu werden,
auf Straßen und Plätzen herumflanieren, verbreitete sich um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts von Paris (dem „coeur ei cul du monde“) nach England, wo es die Dandys
und Swells erzeugte und nach Deutschland — unserem Heimatlande, welches an sich so
solid ist und doch traurigerweise immer nach Importen lechzt. Geschäftig lugte schon da-
mals überall der Kleiderkünstler nach „himmlisch schönen“ Vorbildern, um seinen Kunden
das Neueste bieten zu können, was auf dem Gebiete des „à la mode“ sein herrliches
Modell ihm gezeigt hatte.