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vor aller Hffentlichkeit. Die „hohe Kunst“ des Friseurs stieg mehr und
mehr an Bedeutung, immerhin aber hatte jeder einzelne Kopf noch sein
individuelles Aussehen. Dies sollte sich aber ändern und hierzu bedarf es
einer kurzen Übersicht über die damalige Weltlage.
Als nämlich „der schöne Tag“ endlich gekommen war, „an welchem der
Soldat ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit“, als der heiß ersehnte Friede
im Jahre 1650 endgültig vom Nürnberger Rathause herab verkündet worden
war, da mußte sich die in über dreißig langen und bangen Kriegsjahren
mehr oder weniger verrohete und der Verwilderung sehr nahe gebrachte
Gesellschaft gestehen, daß sie — gleich einem ungeberdigen Rosse, welches
in ruhige Gangart gebracht werden soll — einer starken Hand bedürfe,
damit die sozialen Ordnungen nur einigermaßen wieder hergestellt werden
konnten. Eine zarte Hand konnte das nicht sein, und die allgemeine Ge-
sinnungslosigkeit hatte auch keine andere als die eines herrischen Tyrannen
verdient.
Mag man daher mit vollem Rechte und nicht ohne tiefes schmerzliches
Bedauern den Weg, welchen Ludwig XIV. die menschliche Gesellschaft
führte, für einen falschen halten, der durchaus nicht zum Segen gereicht hat,
so war doch und dennoch dieser Monarch das einzige vorhandene Werkzeug
der göttlichen Vorsehung, welchem es gelingen konnte, Ordnung zu schaffen,
und der durch seinen Machtspruch eine gewisse relative Zufriedenheit herbei-
zuführen vermochte. Ludwig XIV. war nicht nur ein Autokrat im gewöhn-
lichen Sinne für sein eigenes Land. Man kann ihn einen solchen allen
Völkern, ja allen Fürsten gegenüber nennen. Wie jene durch das von
seiner Person ausgehende Prinzip und System, ob auch auf Umwegen, ver-
gewaltigt wurden, so setzten diese ihren Stolz darein, dem von ihm so
meisterlich gegebenen Vorbilde eines absoluten Herrschers nachzueifern, nach-
zueifern in politischer wie in sozialer Beziehung. Unter der Wucht un-
umschränkter Fürstengewalt schwand die wilde Ausgelassenheit, die übermütige
Formlosigkeit. Übersprudeln und Überschäumen galt als verpönt, wenn es
nicht von Serenissimus selbst angeordnet ward, der sich hinwiederum —
welches Landes Herr er auch war — nach „Ihm“ richtete. Car tel est
notre plaisir.
Das fröhliche frische Leben schrumpfte in ein erstarrtes Formendasein
zusammen, in welchem — übertüncht, vergoldet und mit Schnörkeln ver-
sehen — eine ihr alleiniges Heil in äußerer Etikette suchende Schein-
moralität vegetierte. Überwuchert aber wurde diese Scheinmoralität von
einer in deren Miasmen geborenen und durch deren raffinierte Heuchelei
groß gezogenen tatsächlichen Unsittlichkeit. Diese mit allen ihren innerlich
wie äußerlich zur Geltung kommenden sichtbaren wie unsichtbaren Er-
scheinungen beherrschte Alles. Und so schließt sich der Ring wechhselseitiger
Einflüsse; die Schlange beißt sich in den Schwanz. Diese Betrachtung ge-
hört zwar nicht mit unbedingter Notwendigkeit, wohl aber nicht nur
indirekt, sondern ganz direkt zur Geschichte des Trachtenwesens und in-