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zeit nicht vergessen werden; muß Sachsen wie Nichtsachsen zu einer Zeit
eindringlichst in Erinnerung gebracht werden, in welcher so vielerlei Hetzer
und Friedlose, denen es eine satanische Freude ist, Unfrieden zu stiften,
Vaterlandslose, deren teuflisches Gewerbe es ist, Unzufriedenheit zu säen
und groß zu ziehen, sowie allerhand sonstige, das Positive hassende unlautere
Elemente beflissen sind, eine künstliche Gegensätzlichkeit und gegenseitiges
Mißtrauen zu konstruieren. Wenn es ja gewiß zu bedauern ist, daß Fürsten—
haus und Volksfamilie nicht einem und demselben Glaubensbekenntnisse an—
gehören, so ist doch nur grobe Taktlosigkeit im stande, einen Mißton in
dem schönen Gefühle gegenseitiger Zugehörigkeit zu erzeugen. Das kann
nicht deutlich und ausdrücklich genug hervorgehoben werden, denen zum
Trotz, die es anders wünschen.
Um auf August den Starken zurückzukommen, so war unwillkürlich die
Machtstellung und das Ansehen des königlichen Kurfürsten nicht ohne Rück-
wirkung auf Sachsen selbst. Die Blicke der Welt, die von Pracht, von
Luxus und Kunst fasciniert, bisher auf Versailles geruht hatten, richteten
sich jetzt auf die immer strahlender werdende Residenz an der Elbe, woselbst
der von Pöppelmanns kunstdurchdrungenem Architektengenie entworfene
Zwinger — als großartiger Vorhof eines Prachtschlosses gedacht — im
Entstehen begriffen war und George Bähr, nach dem Vorbild von Sankt
Peter die Frauenkirche baute.960) Doch sah sich Friedrich August durch die
Erwerbung Polens in vielerlei schwere Kämpfe verwickelt, um sein Ver-
sprechen einzulösen, die im Laufe der Zeit von Polen abgekommenen Pro-
vinzen diesem Königreiche zurückzuerobern. Um, wie man in solchen Fällen
zu sagen pflegt, „der schönen Augen", der Starosten und Woywoden willen,
mußten die braven sächsischen Truppen 1698 und 1699 wegen Podolien
und der Ukraine gegen die Türken kämpfen, und erlitten, wenn auch siegreich,
doch schwere Verluste.
Eine große Schwierigkeit aber bot die geplante Wiedereroberung
Livlands, welches von Gustav Adolf den Polen entrissen worden und im
Frieden zu Oliva 1660 endgültig an Schweden gekommen war. Zuerst
freilich und bei nur oberflächlicher überlegung hatte diese Wiedereroberung
leicht geschienen, da in dem jungen, erst 16 jährigen König von Schweden,
Karl XII., kein Gegner von Bedeutung vermutet wurde. — „Des Löwen
Erwachen"“ enttäuschte alle. — Das neue Jahrhundert, mit dessen Beginn
auch in Sachsen die Zeitrechnung nach dem neuen gregorianischen Kalender
zur Einführung gelangte, brachte als Erstlingsgabe den nordischen Krieg.)
50) Daß diese Blicke mehr die eines gaffenden Zuschauers als die eines bewundernden
Freundes waren, zeigte sich sehr bald.
97) Papst Gregor XIII. hatte 1581 angeordnet, daß die bisher in allen Staaten der
Christenheit gültig gewesene, von Julius Cäsar eingeführte Zeitrechnung aufzugeben und
eine vom Tridentinischen Konzil beschlossene genauere einzuführen sei, und zwar dergestalt,
daß vom 5. Oktober 1582 gleich auf den 16. Oktober gesprungen werden solle. Die Protestanten
nahmen diese Rechnung im allgemeinen erst mit dem Jahre 1700 an. Die Russen rechnen noch
heute nach des Julius Kalender und sind gegenwärtig dreizehn Tage nach dem Gregors zurück.
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