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Rußland, Polen-Sachsen und Dänemark, veranlaßt durch die Rat—
schläge des aus Livland gebürtigen sächsischen Geheimen Kriegsrates Reinhold
von Patkull, der eine Überrumpelung Karls XII. in Aussicht gestellt hatte,
verbündeten sich gegen Schweden. Auf beiden Seiten wurde mit außer-
ordentlicher Bravour gekämpft. Bemerkenswert ist hierbei die Verschieden-
heit in der Schilderung jenes Livländers, dem der Historiker Gretschel, bei
aller Anerkennung seines Geistes und seiner Talente, diplomatische Doppel-
züngigkeit und antimonarchische Gesinnungen vorwirft, während der baltische
Gelehrte Bienemann ihn als den Größten bezeichnet, den Livland geboren.
„Warum horchen unsere Knaben auf, wenn Patkulls Name genannt wird;
wen von uns schauert es nicht, wenn man Patkulls gedenkt" — fragt
Bienemann weiter in seiner „Baltischen Vorzeit“, Dieser Patkull, unzweifel-
haft ein opferfreudiger baltischer Patriot und Führer des livländischen Land-
tages, hatte, weil er in Stockholm für die Rechte seines Vaterlandes ein-
getreten war, wegen angeblichen Hochverrates seinen Kopf verwirkt. Nach
vielem Umherirren war er in die Dienste Augusts von Sachsen getreten,
dessen Liebling, der Feldmarschall von Fleming, hauptsächlich seine Pläne
zur Niederwerfung Schwedens unterstützte. Die Zusicherung Patkulls, daß
ganz Livland sich gegen Schweden erheben werde, sobald der Krieg aus-
gebrochen sein würde, ging nicht in Erfüllung. Dänemark ward am
28. August 1700 zum Frieden von Travendal gezwungen und der dem
nun ganz isolierten König August zu Hilfe eilende Zar Peter von Rußland
wurde am 30. November bei Narva geschlagen. Trotz außerordentlicher
Tapferkeit und glänzender Waffentaten der Sachsen (man denke nur an den
General Graf Schulenburg bei Punitz und Klissow 1702) ging Livland
endgültig verloren. Karl besetzte nicht nur Polen, sondern drang auch in
Sachsen ein und erzwang hier am 14. September 1706 den Frieden zu
Altranstädt. August mußte auf die polnische Krone und alles das verzichten,
was mit derselben zusammenhing, dem Bündnisse mit Rußland entsagen und
Patkull ausliefern, dem ein grausames, qualvolles Ende bereitet wurde.2)
58) Eigenartig genug muß es August dem Starken zu Mute gewesen sein, als er am
17. Dezember in Günthersdorf, unweit des Hauptquartiers, welches Karl noch immer in
Altranstädt aufgeschlagen hielt, seinen Vetter — freundschaftlichst — umarmte, der sächsische
Herkules den schwedischen Löwen. Beide Fürsten waren Söhne von zwei Töchtern König
Friedrichs III. von Dänemark, beide die Urbilder von Ritterlichkeit. Gerade letztere Eigen-
schaft zeigte sich bei beiden zur Evidenz, als Karl XII. etwa ein Jahr darauf vor dem
Abmarsche seines innerhalb Sachsens und auf Kosten Sachsens aufs trefflichste wieder her-
gestellten und beneidenswert ausgestatteten Heeres, von Oberau aus, woselbst er Nachtquartier
genommen hatte, mit nur sieben Begleitern ganz plötzlich und ohne jemands Vorwissen in
Dresden erschien, um Friedrich August und dessen Mutter, seiner Tante, einen Abschieds-
besuch zu machen. Trotz seiner erbitterten Gegnerschaft gegen den sächsischen Kurfürsten
und seiner genauen Kenntnis der Tatsache, daß diese Gefühle von der anderen Seite
mindestens entsprechend erwidert wurden, ja daß dieselben durch die sehr harten Friedens-
bedingungen sicherlich an Schärfe noch bedeutend zugenommen haben mußten, wagte der
Schwedenkönig diesen Ritt — bauend und fußend auf der Ritterlichkeit seines Feindes. Und
er sollte sich nicht getäuscht haben. Obwohl Feldmarschall Graf Fleming seinen Kurfürsten