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nicht weiter zu solgen, habe gewissermaßen aufgeatmet, daß seine Ehrlichkeit
nun nicht umgeworfen sei. Ehrlichkeit ging ihm über alles. Ehrlichkeit ist
aber etwas so Seltenes, daß viele gar nicht verstehen, sich mit dieser aller-
dings oft „sehr unpraktischen“ Tugend abzufinden. Und dieser Satz wiederum
soll keinen Vorwurf gegen die Diplomatie enthalten, die oft anders zu rechnen
gezwungen ist als der Gedankengang gewöhnlicher Sterblicher. Aus jenem
soeben geschilderten Verhalten des vielleicht allzu ehrlichen Friedrich August
glauben manche folgern zu sollen, derselbe habe blindlings und abergläubisch
im Banne seines „großen Protektors“ gestanden. Das anzunehmen, wäre
indessen ein Unrecht gegen den verehrungswürdigen Monarchen. Wohl aber
läßt sich vielleicht die Frage aufwerfen, ob es nicht doch geraten gewesen
wäre, die an sich so hochachtungswerte Ehrlichkeit des Menschen im äußersten
Notfalle den weitschauenden Erwägungen des Herrschers zu opfern, der
nicht allein an sich, sondern auch an seine Untertanen zu denken die
Pflicht hat. Durch solche überlegungen soll aber kein Schatten auf das
Andenken des Gerechten geworfen werden.
Übrigens würde Napoleon, schon um der Abschreckungstheorie willen,
seine Drohungen in der rücksichtslosesten Weise zur Ausführung gebracht
haben und hätte unzweifelhaft ein entsetzliches Beispiel grausamster Rache
gegeben. Welche Mutter würde ihr Kind, welcher Landesvater sein Land
vor den eigenen Augen zerfleischen lassen, wenn dies zu verhindern nur
einigermaßen im Bereiche der Möglichkeit liegt? Auch würde eine gegen-
teilige Entscheidung des Königs an der später erfolgenden Landabtretung
kaum etwas geändert haben. Preußen und Rußland hatten sich bereits
lange vorher, nämlich im Vertrage zu Kalisch, darüber geeinigt, welches Los
Sachsen treffen sollte. Hiernach war alles eroberte beziehungsweise „er-
worbene“ Gebiet in Norddeutschland, Hannover ausgenommen, Preußen
zugesprochen. Es fragt sich sehr, ob ein freiwilliger Anschluß eine Annek-
tierung ausgeschlossen hätte. Die Auffassungen Kaemmels und Gretschels
stehen hierin einander gegenüber. Wenn aber auch König Friedrich August
sein gegebenes Wort, sein Fürstenwort, nicht brechen wollte, so war er doch
weit davon entfernt, die immer mehr zunehmende Abneigung gegen die
Franzosen zu tadeln. Trotzdem diese Gesinnungen und Gefühle — dem
immer rücksichtsloser werdenden Auftreten der Franzosen entsprechend —
in der an deren Seite zu kämpfen gehaltenen sächsischen Armee mit jedem
Tage zunahmen, hielt sich der König auch inmitten dieser Strömungen und
Brandungen der Treue seiner Soldaten versichert. Daß er dies konnte,
daß der glühende Wunsch des Heeres, sich den Alliierten anschließen zu
dürfen, mit ganz vereinzelten Ausnahmen dennoch und dennoch von dem
unbedingten im Fahneneide gelobten Gehorsam gegen den Kriegsherrn im
Zaume gehalten worden ist, das gereicht der Manneszucht des Ganzen wie
der Selbstüberwindung des einzelnen zur unauslöschlichen Ehre. Der eigen-
mächtige Üübergang des Majors von Bünau mit einem Bataillon des Regi-
ments König auf Vorposten bei Oranienbaum fand allgemeine Mißbilligung;