— 156 —
Vom Tode Ludwigs XIV. an verkürzt sich die große Staatsperücke,
deren Länge eine ihrer Schönheiten gebildet hatte, zur immer kleiner werdenden
sogenannten Stutzperücke.
Um allem Streite vorzubeugen, welcher Haarfarbe der Vorzug gebühre,
und weil man nicht mit Unrecht gefunden hatte, daß ein frisches Gesicht
durch die Umrahmung weißer Haare besonders vorteilhaft gehoben werde,
puderte man diese Perücke mit feinem Weizenmehl. Eine solche Perücke
tragen mit Modifikationen die drei nächsten Nachfolger Augusts des Starken,
sowie der zwischen denselben marschierende Schweizergardist. Noch Friedrich
August der Gerechte trägt eine solche, wie sie durch den Militarismus und
die Sparsamkeit Friedrich Wilhelms J. von Preußen entstanden war. Wie
in alle Kreise, war die Perücke schon längst auch in diejenigen der
Soldateska eingedrungen, in die Armeen, die sich um jene Zeit, nämlich
am Ausgange des 17. Jahrhunderts, in allen Ländern zu festen Forma—
tionen ausbildeten. Der spartanische Soldatenkönig in Potsdam, der ein
Jahrzehnt nach dem Beginne des 18. Jahrhunderts den Thron bestiegen
hatte, hielt — ganz gerechtfertigterweise — dieses Modestück in der Armee
für zu teuer. Im Bereiche der engeren wie der weiteren Wachtparade
sollte man mit seinem eigenen Haare auskommen. Langwallend indessen
mußte dasselbe damals noch sein. Es wäre ein allzu kühner, für damalige
Anschauungsweise gar nicht denkbarer Sprung und ein unerhörter Bruch
mit allem, was für schicklich, recht und gut galt, gewesen, etwa durch die
Schere Kürzungen haben vornehmen zu wollen. Der preußische Soldat sollte
also lange eigene Haare haben. Dieselben durften aber im Dienste — auf
dessen als „Gamaschendienst“ bekannte peinlich pedantische Ausführung es
in erster Linie ankam — nicht stören. Der Ausweg war der, daß die
vorn gelockten Haare zu einem langen Schweif nach hinten zusammen-
gebunden wurden, welcher die gleichmäßig weiße Farbe des Mehlstaubes
oder Puders zeigte. So entstand auf märkischem Boden der Zopf, welcher
ein ebensolches Sinnbild für pedantische Kleingeisterei, Haarspalterei und
Knöchelei, sowie für eine in Maß und Ziel weit überschraubte Hyper-
Genauigkeit geworden ist, wie es die große aus Versailles stammende
Allongeperücke für Dünkel und Aufgeblasenheit gewesen war. Schließlich
wurde der Zopf nicht nur lose gebunden, sondern — zur Herbeiführung
einer unbedingten Genauigkeit und Übereinstimmung aller Soldatenköpfe
eines Regimentes — zu einer in Dicke und Länge nach dem Zollstab gemessenen
gleichmäßigen steifen Leine gewichst. Dieser eklatante Ausdruck eines lediglich
im Gleichtritt der Grenadiere wie der Ideen und im festgesetzten Taktschlag
öder Nüchternheit der Anschauungen sein Genüge findenden Systems
gelangte ebenso in natura wie in übertragener Bedeutung bald auf allen
Gebieten des Lebens zur Geltung. Vom gemeinen Soldaten ging der
Zopf auf den Offizier und dessen — des gesellschaftlichen Ansehens wegen
noch immer beibehaltene — künstliche Perücke über. Auf den Köpfen
der im „Drill" steckenden Kornets und Junker, die dereinst als Obersten