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— sprach Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. laut vor der ganzen Nation
aus, dasselbe verkörpere alles, was wir Germanen mit Stolz als germanische
Kultur bezeichnen.
Während aber innerhalb der grünweißen Grenzpfähle die goldene Sonne
heiter lächelte, ballten sich außerhalb derselben schwere Wetterwolken zusammen.
Ihre Entladungen begannen damit, daß die europäische Großmacht Preußen
die europäische Großmacht Osterreich aus dem Deutschen Bunde hinaus-
zudrängen sich bemühte, dem beide als deutsche Staaten angehörten.“)
Das „Rot“ des Blutbannes — in übertragener und erweiterter Be-
deutung der geistige, physische wie materielle Einfluß der nationalen Vor-
herrschaft in deutschen Landen — sollte vom „Schwarz-Gelb“ des Kaiser—
staates Osterreich auf das „Schwarz-Weiß“ des königlichen Preußen über-
gehen. Schwarz-Rot-Gold ward begraben. Schwarz-weiß-rot aber
sollte 133), ohne daß dies damals jemand ahnen konnte, fünf Jahre später
eine neu geschaffene Fahne über dem Throne eines neuen deutschen Kaisers
wehen. Aber noch flatterten die Raben des Kyffhäuser ängstlich um den
Berg der Deutschen, nicht wissend, ob ihr banger Flügelschlag von einem
doppelten oder einfachen schwarzen Adler Unterstützung finden werde. Noch
übte Habsburg seinen alten Zauber feudaler Romantik aus, das A. E. I.
O. U. der felix Austria war noch nicht vergessen, während das Suum
cuique der Hohenzollern nur erst auf beschränktem Raume herrschte.“)
132) Die Einzelstaaten des ehemaligen „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“
waren zwar nach Auflösung und Zertrümmerung dieses gerade tausend Jahre alt gewordenen
politischen Gebildes formell zu einem Deutschen Bunde zusammengetreten. Dennoch standen
dieselben aber gleichzeitig als selbständige Individuen mit verschiedenen Intcressen einander
gegenüber und hatten schon längst das Bedürfnis nach einem engeren Zusammenschluß
gefühlt. Der sächsische Minister Freiherr von Beust war es hauptsächlich, der zusammen
mit demjenigen Bayerns, von der Pfordten, einen gegenseitigen Anschluß der Mittelstaaten als
ein Gegengewicht gegen die Stellung wie das Auftreten von Österreich und Preußen an-
strebte. Die Frage, wie das Erbfolgerecht in Schleswig-Holstein gehandhabt werden solle,
brachte Verwickelungen und Reibungen innerhalb der drei deutschen Machtfaktoren hervor. Die-
selben spitzten sich immer mehr zu und endigten schließlich mit einem allgemeinen Zerwürfnis;
vor allen Dingen aber mit einer täglich wachsenden Spannung Preußens gegen Österreich,
so daß — gewissermaßen als Kräftemesser — der Böhmische Krieg entstand. Selbstverständlich
konnte von allem dem auch Sachsen nicht unberührt bleiben. Dieser Staat, welcher als
loyales Bundesglied in klarer und konsequenter Haltung die Lösung der holsteinischen Frage
auf dem Boden der Bundesverfassung festzuhalten bestrebt gewesen war, durfte diesen Boden
auch dann nicht verlassen, wenn ein friedlicher Ausgleich als unmöglich sich herausstellte.
In bundesgetreuer Haltung waren für die sächsische Politik nur die Beschlüsse der Bundes-
versammlung maßgebend.
133) Ob der Erfolg des historischen Entwickelungsprozesses in dem, was er erreicht
hat, weit über die Grenzen des Beabsichtigten hinausgegangen ist, oder ob ein meisterlich
gehandhabtes Räderwerk von Hause aus und vom ersten Anfange an zu dem Zwecke in
Bewegung gesetzt worden sei, das zu erreichen, was erreicht worden ist und vielleicht noch
erreicht werden soll, das ist eine Frage, die man zwar nicht müssig nennen kann, die aber doch
den vollendeten Tatsachen gegenüber nur von einem gewissen akademischen Werte sein dürfte.
131) A. E. I. O. U. Volkstümliche Abkürzung für das alte Wort Austria Erit In
Orbe Ultima. ÖOsterreich wird bestehen bis an das Ende der Welt. Suum cuique,