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dem ihm das Pferd unter dem Leibe erschossen worden war, die Fahne
des 1. Grenadierbataillons ergriffen hatte und den Truppen vorangeeilt
war, fiel gleichzeitig mit seinem Schwiegersohne, dem Hauptmann von Pape
und hauchte seine Heldenseele in den Armen seines Adjutanten, des
Premierleutnant Schmalz, aus. „Wie ruhmvoll die sächsischen Regimenter“,
so erzählt der Soldatenhort, „bei diesem Sturme die blutige Feuertaufe
bestanden, das künden die Verlustlisten des XII. Armeekorps, das erzählen
die Ringe an den zerschossenen Fahnen, vor allem der Ring an der Fahne
des ersten Bataillons des 107. Regiments, in der die Namen der mit
ihr gefallenen braven Söhne des Sachsenlandes zu bleibendem Gedächtnis
und zur Nacheiferung eingegraben sind. Als die Trompeten das Angriffs-
signal zu schmettern und die Trommeln den Sturmmarsch zu rasseln be—
gannen, trug Unteroffizier Thümmel die Fahne voran. Doch bald sank
sie. Die Kugel, die ihren Schaft durchbohrte, hatte auch ihren Träger
schwer verwundet. Da ergriff Feldwebel Schumann die Fahne — aber
ein Schuß durch den Kopf streckte ihn nieder. Mit seinem Leibe deckte
der Held das Panier, das jetzt Sekondeleutnant Halm aufraffte und der
feuersprühenden Mauer entgegentrug. Durch den Oberschenkel geschossen,
sank der tapfere Offizier zusammen, das Heiligtum des Bataillons dem
Hauptmann Wichmann übergebend, der nur zu bald den Heldentod fand.
Jetzt hob Adjutant von Goetz die Fahne in die Höhe, aber auch er starb
für König und Vaterland. Aus seiner Hand nahm Soldat Maning das
vom Blute der gefallenen Helden gerötete Feldzeichen, um es den stürmenden
Siegern voranzutragen, bis er schwer verwundet zu Boden sank. Ge—
freiter Hoffmann ergriff mit dem Rufe: „her zu mir, wer seine Fahne
liebt“, das Heiligtum und trug es unter prasselndem Geschoßhagel kühn
vorwärts bis in das Dorf, das dem löwenhaft trotzenden Feinde erst ab—
gerungen war, als die strahlende Sonne schon untergegangen. Geführt
wurde der Rest jenes Bataillons vom Premierleutnant Röder, dem einzigen
noch kampffähigen Offizier, dem bei den brennenden Trümmerhaufen
der heldenmütige Führer der preußischen Gardekolonnen, Generalleutnant
von Pape tief bewegt die Hand drückte. Die gleiche Auszeichnung ward dem
Feldwebel Drechsler, sowie den Sergeanten Schilde und Kaiser zu teil.
Bei dem Sturm auf St. Privat war das Wort des nachmaligen General-
feldmarschalls Graf Moltke überaus glänzend in Erfüllung gegangen,
welches dieser große Mensch und große Feldherr damals als Chef des
preußischen Generalstabes 1866 angesichts des geordneten Rückzuges der
Sachsen bei Problus getan hatte: „Eine geschlagene Armee, die, dem Un—
vermeidlichen sich fügend, ruhig und geordnet das Schlachtfeld verläßt,
kann sich dem Sieger ebenbürtig zur Seite stellen: Wolle Gott, daß dies
geschehe — und bald.“ Nur vier Jahre waren seitdem vergangen.
Geradezu rührend und einen ebensolchen Beweis von echt soldatischem
Geiste wie ein vorbildliches Beispiel der familienhaften Zusammengehörig-
keit von Vorgesetzten und Untergebenen bietend, muß es anmuten, wie der