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Fünf Jahre angestrengtester Tätigkeit brauchte der Künstler, um seine
vortreffliche Kartons auf die Wandfläche zu übertragen. Die Übernahmen
erfolgte am 21. Juli 1876 in Vertretung des abwesenden Königs Albert
Majestät durch den damaligen Prinzen Georg, Königl. Hoheit. Ganz Sachsen
erfreute sich der Fertigstellung, wenn auch des Landes Hauptstadt natur—
gemäß den direktesten Vorteil von jenem Gemälde hat. Trotzdem jährlich
Tausende vor demselben stehen bleiben oder seine Reize im Vorübergehen
auf sich wirken lassen, so muß doch beklagt werden — und im Interesse des
sächsischen Patriotismus beklagt werden — daß eine noch ungleich größere
Zahl von Tausenden treuer Landeskinder wegen der Entfernung ihrer
Heimatsorte von der Residenz keine oder nur eine hbchst oberflächliche
Kenntnis des „Fürstenzuges“ und seiner Bedeutung haben. Die Hofkunst-
handlung von Gutbier hat zwar gleich im Jahre der Entstehung desselben
Abbildungen erscheinen lassen und Adolf Stern hatte den einzelnen Figuren
kurze biographische Notizen beigegeben. Indessen bezogen sich letztere im
allgemeinen nur auf Lebens= und Regierungsdauer der betreffenden Herrscher,
ohne auf die weitere Geschichte oder irgend welche Wechselbeziehungen ein-
zugehen. Der ethische und moralische Wert jenes Wandgemäldes wird
und kann niemals untergehen; auf das aufmerksam zu machen, was er
bietet, ist der Zweck dieser Arbeit. Wohl aber hat leider die chemische
Beschaffenheit des Materials den an sie gestellten Anforderungen nicht voll-
kommen entsprochen, so daß die unbegrenzte Haltbarkeit des Frieses selbst in
Frage gestellt ist. Loyalerweise hat der Landtag eine Summe bewilligt, um
die Konservierung jenes „einzig dastehenden“ Kunstwerkes zu ermöglichen.
In Anlehnung an die Vorschläge eines Düsseldorfer Künstlers wird jetzt von
den Malern Schultz und Hausmann am Reparieren des Wandgemäldes
gearbeitet, auf welchem da und dort einige Risse sich bemerkbar zu machen
drohen, während eventuell für später eine Erneuerung mit Keimscher Kasein-
Farbe in Aussicht genommen werden soll.
Als ein Zeichen dafür, welch hoher Wert dem in Rede stehenden
Fürstenzuge als Sinnbild und Sammelpunkt sächsischen Vaterlandssinnes
allüberall da beigemessen wird, wo brave Sachsenherzen in treuer deutscher
Brust schlagen, kann auch der Umstand reden, daß das Offiziers-Kasino
des „zu Straßburg auf der Schanz“ im Elsaß garnisonierenden 6. Königl.
Sächs. Infanterie-Regiments Nr. 105 als herrlichen Wandschmuck seines
Saales den Dresdener Fürstenzug gewählt und denselben, vom Straßburger
Maler Nawothnig in Kreidezeichnung übertragen, erhalten hat. Auch in
der Ferne also, am Rhein und an den Vogesen, wecken die Gestalten dieser
Waltherschen Schöpfung Erinnerungen an Wettin und Sachsen, führen die-
selben unter dem hohen Kuppelbau des gemeinsamen Vaterlandes in die
Altarnische der engeren Heimat. — Es ist zwar der Ausspruch eines fran-
zösischen Historikers (Cayon): „Les evenements font les hommes, et
les hommes à leur tour font les evenements“, in wörtlicher Über-
setzung: Die Ereignisse machen die Menschen, und die Menschen ihrerseits