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die Antwort: „das Roß.“ Als er sich nun wunderte, daß die Wahl nicht
auf den starken und unwiderstehlichen Löwen gefallen sei, begründete jener
seine Meinung damit, daß er anführte, für den Schwachen sei der gewaltige
Löwe wohl nützlich, um mit ihm oder an seiner Statt zu kämpfen, der
Starke aber bedürfe des schnellen und gewandten Rosses, mit dem er den
Feind nicht nur angreifen, sondern auch verfolgen könne.“ Diesen Gedanken—
gang haben im Laufe der Zeiten alle Völker zu dem ihrigen gemacht, und
nicht zum wenigsten die streitbar kühnen Stammesgenossen Armins und Thus-
neldas. Trotzdem ist der Ackergaul eine spezifisch germanische Erscheinung;
Griechen und Römer kannten nur Stiere vor den Pflügen.
Es war dem Herzens= und Seelen-Adel aller unserer Vorfahren Be-
dürfnis, dort Treue zu halten, wo ihnen Treue entgegengebracht wurde —
auch Tieren, ja selbst leblosen Gegenständen gegenüber. Die Personen-
namen der Rosse, der Schwerter und der Helme legen Zeugnis hierfür ab.
Wie Goten und Vandalen eine neue Richtung in der Kunst aufbrachten,
und vielerlei Morsches von ihnen gestürzt wurde, um dann, von frischem
Hauche belebt, wieder aufgerichtet zu werden, so hatten sie auch Einfluß auf
die Pferdezucht.
Die antike Welt hatte eigentlich nur eine einzige Art von Pferden
gekannt, die leichte Gattung, wie sie sich von den Bergen des Iran wie
aus den Tälern des Oxus und Yaxartes kommend, auf den immer grünen
Auen von Hellas und unter einem ewig blauen Himmel Roms entwickelt hatte.
Mit dem Eintreten der germanischen Stämme in den Reigen der Welt-
geschichte tritt auch das schwere oder doch schwerere Roß auf, wie es in Sumpf
gebieten und Heidestrecken, auf hartem Boden und bei rauhem Klima sich
umgeschaffen und den Bedürfnissen der Ger-Mannern sich angepaßt hatte.
„Das Roß“ und „daz ors“ erscheinen auf der Bildfläche, beides
gleichbedeutende Begriffe und gleichen germanischen Namens.
Das lateinische equus wird in den Hintergrund gedrängt, dafür geht
der Nebenausdruck cavallus (wohl weil volltönender und besser klingend)
in den Wortschatz der romanischen, das ebenfalls aus dem Lateinischen
stammende paraveredus aber (aus gleichem Grunde des größeren Wohl-
klanges anstatt des alten veredus) in die Sprachweise der germanischen
Völker über und wird hier schließlich zum „Pferd“. Im Französischen ist
es zum Palefrois geworden, ein besonders stattliches Roß bedeutend.
Dextrarius und destrier aber wurde die Bezeichnung für dasjenige
Pferd, welches, besonders befähigt, als Streitroß zu dienen, dem auf dem
Reisegaul reitenden, leicht geharnischten Herrn, vom gleichfalls auf einem
solchen sitzenden Knappen an dessen rechter Hand (dextra) ledig geführt
wurde, um zum Kampfe vollständig frisch zu sein. Die schwere Eisenrüstung
des Ritters, welche von demselben ebenfalls erst kurz vor Beginn des
Kampfes angelegt wurde, trug ein tüchtiger Gaul oder March.
Märe sowohl wie Gaul hatten durchaus nicht den Beigeschmack von
etwas mehr oder weniger Lächerlichem, wie dies jetzt leider beliebt wird.