Je mehr sich aber der aller Mißwirtschaft in Kirche wie in Staat
abholde Kurfürst mit den Schriften, Lehren und Behauptungen dieses seines
berümtesten Untertanen vertraut machte, um so mehr und mit um so größerem
Bewußtsein, ja inneren Notwendigkeit des Herzensdranges wie voller über—
zeugung des Verstandes und Gemütes, neigte er sich dem gewaltig-bescheidenen,
trotzig-demütigen Augustiner und dem zu, was derselbe vertrat. Von seinem
geistlichen Rate und Seelsorger, dem Hofkaplan Spalatin (Georg Burkhardt
aus Spalt bei Eichstätt, später ersten Superintendenten zu Altenburg) ward
der weise Friedrich hierin bestärkt. Daß Undank der Welt Lohn sei, hat
der Kurfürst übrigens in reichem Maße erfahren müssen. Das Urteil aller
Geschichtsschreiber ist darüber einig, daß Karl V. die Besteigung des Kaiser-
thrones von Deutschland in letzter Instanz dem Wettiner Friedrich zu danken
bei Luthers Aufenthalt auf der Wartburg und seiner segensreichen Tätigkeit auf der alten
Veste angelangt, — an der hier vorliegenden Stelle, wo in volkstümlicher Art ein Stück
vaterländischer Geschichte geboten werden soll, nicht unangebracht darauf hinzuweisen, daß bei
der Verdeutschung der Bibel seiten Dr. Martin Luthers die Art der „Sächsischen und unseres
Fürsten Kanzlei zum Muster genommen und zu Grunde gelegt wurde, welcher nachfolgend
alle Fürsten, Fürstenhöse und Reichsstädte in Deutschland schreiben“. Luther bevorzugte das
Meißnisch-Wittenbergsche, um, wie er selbst sagt, „in einer allgemein verständlichen Sprach-
und Schrift-Art in die Welt hinauszugehen“. Mit diesem Lobe aus Luthers und seiner
gelehrten Freunde Munde (Buggenhagen, Melanchthon, Kreuziger und Jonas, die ihm bei
der Bibelübersetzung Hilfe leisteten) stimmt ein alter Ausspruch des gelehrten Hugo von
Trimberg überein, der schon im Anfange des 14. Jahrhunderts den Meißnern die An-
erkennung zollt, eine besonders reine gute deutsche Sprache sorgfältig auszusprechen. —
Wonach zu richten, liebe Landsleute! Sorgen wir alle dafür, daß unsere heimatliche Art
auch ferner solches Lobes würdig bleibe. Lassen wir uns auch nicht irre machen, durch
Spötter, die ihre Sprache für besser halten — wenn sie nicht recht haben.
Trotzdem Karl der Große die deutsche Sprache, und zwar speziell die Mundart von
Franken, zur Sprache des Hofes erhoben hatte, wurde dieselbe doch im Laufe der Zeiten
durch das Latein der Gelehrten verdrängt und die unseligen inneren Wirren ließen dann
unter den verschiedenen deutschen Stämmen auch in sprachlicher Beziehung keine über-
einstimmung gedeihen. In dankenswerter Weise den gordischen Knoten durchschnitten zu
haben, ist das unauslöschliche Verdienst Kaiser Ludwigs des Bayern in der ersten Hälfte
des 14. Jahrhunderts. Derselbe führte, gegenüber dem bisher üblichen Latein in deutschen
Urkunden, das Deutsche ein und die Kanzlei der böhmisch-luxemburgischen Kaiser (rund
1350—1450) ist darauf — wie Professor Berlit hervorhebt — die hauptsächlichste Pflanz-
stätte der deutschen Schriftsprache geworden. Es ist das Deutsch des Landstriches an der
Meißnisch-Böhmischen Elbe. Bis indessen die Deutschen es dahin brachten, ihre Mutter-
sprache — allen Einzelstämmen verständlich — zum Ausdrucke der innersten Herzensgefühle
und tiefsten Gedanken in klassischer Form zu meistern, dauerte noch geraume Zeit.
Unzweifelhaft aber gebührt dem gerade auch in dieser Beziehung großen Volksmanne
Martin Luther das Verdienst, unter Benutzung der Kursächsisch-Meißnischen Kanzleisprache
den Entwickelungsgang der deutschen Allgemeinsprache beschleunigt zu haben. Durch die
endgültige Schaffung dieser einheitlichen deutschen Schriftsprache und ganz besonders deren
rasche Einführung in die breiten Schichten des Volkes auf dem Wege der Bibelverbreitung
hat Luther wesentlich dazu beigetragen, der geistigen Einheit der Nation inmitten des
Jammers der auf sein Auftreten folgenden politischen Wirren einen starken Rückhalt zu
geben. Ja, es dürfte jener, auf dem Meißnischen Idiom aufgebauten Einheitssprache auch
das Verdienst zugesprochen werden können, den Zerfall in ein ober= und nieder-deutsches
Volkstum verhütet zu haben.