§ 35. Der Reichstag. 257
leitete Strafverfahren und jede Untersuchungs= und Zivil-
haft (nicht aber die Strafhaft) für die Session aufgehoben
(RESt. 38 1791.
Hiermit in Verbindung steht das RG. vom 26. März 1893
(sog. lex Ahlwardt), wodurch in StGB. 8 69 die Vorschrift ein-
gefügt ist, daß die Verjährung der Strafverfolgung während
der Zeit ruht, in welcher auf Grund gesetzlicher Vorschrift die
Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden
kann.
Streitig ist geworden (Fall Erzberger), ob ein Abgeord-
neter bei Mitteilungen, die ihm in seiner Eigenschaft als Abgeord-
neter gemacht sind, das Zeugnisverweigerungsrecht hat, und
ferner ob das Reichstagsgebäude selbst sakrosankt ist. Beide Fra-
gen sind nach richtiger Ansicht zu verneinen. Über den Ort
der Vernehmung von Reichstagsmitgliedern vgl. ZPO. 88 382,
402, St PO. 8§8 49, 72, MilStGCO. 88 207 f.
2. Die Reichstagsabgeordneten dürfen als solche
keine Besoldung beziehen; sie erhalten vielmehr als
solche eine Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes
(Art. 32 in der Fassung des RG. vom 21. Mai 1906).
a. Dieses Gesetz ist am 21. 5. O6 erlassen und am 25. 5. in Kraft
getreten. Die Aufwandsentschädigung beträgt jährlich
3000 Mark, zahlbar in 6 Raten von verschiedener Höhe. Die
Zahlung ist aber davon abhängig, daß der Abgeordnete bei den
Plenarsitzungen anwesend ist, d. h. sich in die ausliegende An-
wesenheitsliste eingetragen und an namentlichen Abstimmungen
teilgenommen hat. Andernfalls werden für jeden Tag, an dem der
Abgeordnete abwesend war, 20 M. von der nächstfälligen Rate
der „Aufwandsentschädigung“ in Abzug gebracht. Der Anspruch
auf die Entschädigung ist nicht übertragbar (also auch nicht pfänd-
bar oder aufrechenbar). Außerdem haben die Reichstagsmit-
glieder nach dem obigen Gesetze freie Fahrt auf allen deutschen
Eisenbahnen während der Session und 8 Tage vor= und nachher,
also auch, während der Reichstag vertagt ist, nicht aber, wenn
er geschlossen wird (S. 255).
8. Nach RV. Art. 32 alter Fassung durften die Abgeord-
neten Diäten nicht beziehn. über die condictio ob iniustam cau-
sam des preuß. Fiskus gegen Reichstagsabgeordnete, welche ge-
gen das Diätenverbot eine Vergütung angenommen hatten, vgl.
L. 1 §9§ 58, 44 1. Auf trotz des Art. 32 versprochene oder ge-
zahlte Diäten sind heute die §§ 134, 817 BGB. anwendbar.
3. Reichs= und Staatsbeamte (ob auch Kom-
munal-, Kirchenbeamte und Offiziere, ist streitig) be-
dürfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichs-
tag (wohl aber Privat= und Hofbeamte; auch bedürfen
des Urlaubs Reichsbeamte zum Eintritt in einen Land-
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