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bewusstsein der Menschheit, welche sich an dem für das posi-
tive Völkerrecht an sich ausreichenden Rechtstitel der occu-
patio bellica perfecta nicht mehr vollständig genügen lassen.
Uber die Frage, ob und inwieweit bei einem Gebietser-
werb durch Abtretung oder Eroberung auf den Willen der in
dem Gebiet ansässigen Bevölkerung Rücksicht zu nehmen, ist
bereits oben (S. 82 fl.) das Erforderliche bemerkt worden. Gerade
bei der Zession eines Gebietes ist in neuerer Zeit wiederholt
eine Willensäusserung der Bewohner vertragsmässig stipuliert
worden, sei es in der Form des Plebiszits, wie im Falle der
Abtretung von Nizza und Savoyen, sei es durch Option, wie
Sie in Elsass-Lothringen stattfand.
Die debellatio stellt sich dar als Erwerb der Gebiets-
hoheit über das gesamte Gebiet eines Staates gegen dessen
Willen durch Vernichtung seiner selbständigen Exristenz und
einseitige Besitzergreifung des auf diese Weise herrenlos ge-
wordenen Gebiets. Eine ähnliche Unterwerfung des Ge-
samtgebiets eines Staates unter die Gebietshobeit
eines andern Staates kann sich jedoch auch auf fried-
liche Weise, mit Willen des sich dadurch seiner Selb-
ständigkeit entäussernden Staates vollziehen. Der Staat
begeht durch eine solche Unterwerfung allerdings gewisser--
massen einen Selbstmord; es ist der folgenschwerste Entschluss,
der im Staatsleben überhaupt vorkommen kann. Und doch
können politische Beweggründe eine solche freiwillige Selbstver-
nichtung nicht nur rechtfertigen, sondern sogar als erstrebens-
wert erscheinen lassen. Der Staat ist eben in letzter Linie doch
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