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der staatlichen Souveränetät zu übernehmen, um dieselbe im
Namen des Staates als organisches Glied desselben auszuüben.
Im Gegensatz zu diesem staatsrechtlichen Vorgang ver-
stehen wir unter völkerrechtlichem Gebiets- oder Souveräne-
tätserwerb die Ausdehnung einer vorhandenen Staatsgewalt
über ein derselben bisher nicht unterworfenes Gebiet. Dieser
Erwerb setzt also auf Seiten des Erwerbenden das Vorhanden-
sein einer Staatsgewalt voraus, deren Herrschaft das zu er-
werbende Gebiet unterworfen werden soll. Darnach können
innerhalb der Grenzen des Völkerrechts nur souveräne
Staaten Gebiet erwerben. Wenn uns also die Geschichte
Beispiele von Gebietserwerb seitens nichtstaatlicher Rechts-
persönlichkeiten bietet, so müssen diese Vorgänge ausserhalb
der Sphüre des Völkerrechts liegen. Und in der That haben
wir es in all den Präzedenzfällen, die zu dieser prinzipiellen
Untersuchung Veranlassung gaben, mit Vorgängen zu thun,
die nicht auf dem völkerrechtlich geregelten Gebiet der
Staatenbeziehungen liegen, sondern sich in dem vom Völker-
recht noch nicht ergriffenen Vorstadium der Staaten-
gründung und Staatenbildung befinden. Es sind nicht
die Rechtspersonen des Völkerrechts, die fertigen Staaten,
die hier handelnd auftreten, sondern unfertige, im Entstehen
begriffene Gebilde, aus denen vielleicht später völkerrechtliche
Rechtssubjekte werden, während sie einstweilen gewisser--
massen die Stellung der nascituri einnehmen. Als solche
sind sie dem Recht keineswegs gleichgiltig; aber sie können
noch nicht als selbständige Rechtssubjekte handelnd auftreten.