Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

— 124 — 
V. 
Aus den Jahrhunderten des ausgehenden 
Mittelalters. 
73. 
Ottokar von Böhmen unterwirft sich Rudolf von Habsburg. 
1276. 
Quelle: Chronik von Kolmar (Lateinisch)#). 
Übersetzung: Erler a. a. O. Bd. 3. S. 241 und 243. 
Sobald nun der König von Böhmen sah, daß er dem römischen Könige keinen 
Widerstand leisten könne, demütigte er sich und übergab sich seiner Gnade. Die 
königlichen Herrscher kamen unter folgenden Bedingungen überein: Es sollte der 
Böhmenkönig seine Tochter dem Sohne König Rudolfs zur Ehe geben, die 
Regalien, wie es sich ziemte, von ihm empfangen und dreihundert Ritter mit 
gewaffneten Rossen zum Heere des Königs führen, wann dieser wolle. 
Der König von Böhmen machte sich sogleich mit vielen Rittern und Rossen, 
in golddurchwirkten Gewändern und geschmückt mit Edelsteinen, bereit, die Regalien 
von dem Könige der Römer in Empfang zu nehmen. Als dies die Fürsten König 
Rudolfs hörten, überbrachten sie voll Freude ihrem Herrn die Kunde und sagten: 
„Herr, legt kostbare Gewänder zum Empfange an, wie es dem Könige geziemt.“ 
Da gab ihnen der König zur Antwort: „Der Böhmenkönig hat mein graues 
Wams oft verlacht; nun aber wird mein graues Wams über ihn lachen.“ Darauf 
sagte er zu seinem Notar: „Gib mir deinen Mantel, auf daß der König meine 
Armut verlache“ Da nun der Böhmenkönig sich nahte, sprach der König zu 
seinen Rittern: „Legt eure Waffen an, wappnet eure Streitrosse und rüstet euch, 
so gut als ihr vermögt, zur Schlacht, stellt euch zu beiden Seiten des Weges, 
den der König kommen wird, in Reih und Glied auf und zeigt die ruhmwürdigen 
deutschen Waffen den barbarischen Völkern.“ Als nun alles in solcher Weise nach 
des Königs Willen angeordnet war, nahte sich der Böhmenkönig in goldstrahlendem 
Gewande und mit königlicher Pracht, fiel dem römischen König zu Füßen und bat 
ihn demütig um die Regalien. Überdies verzichtete er auf hunderttausend Mark 
Einkünfte und vierzigtausend Mark, welche der Herzog von Osterreich gehabt und 
der Böhmenkönig von der Königin Margareta 5) her besessen hatte. Hierauf über- 
1) Die bis zum Jahre 1304 reichende Kolmarer Chronik erzählt in erster Linie die 
Taten der beiden ersten habsburgischen Könige, besonders die Rudolfs. Der unbekannte 
Verfasser will den habsburgischen Standpunkt gegenüber den übrigen Thronbewerbern — 
Ottokar von Böhmen und Adolf von Nassau — verteidigen; er bemüht sich dabei, auch 
diesen Gegnern volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. 
2) Ottokar vermählte sich 1252 mit der fast doppelt so alten Königin Margareta. 
Diese Frau war die Witwe König Heinrichs, jenes ungeratenen Sohnes Kaiser Fried- 
richs II., und die Tochter des letzten österreichischen Herzogs aus dem Hause Babenberg 
(1 1246). Ottokar hoffte, durch diese Heirat die reichen babenbergischen Allodien zu ge- 
winnen und die bereits 1251 erschlichene Herrschaft in den alten babenbergischen Ländern 
Steiermark und Osterreich sicherzustellen.
	        
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